Niklas Salm-Reifferscheidt
Ur-Urgroßvater war japanischer Außenminister & Berater des Kaisers

- Shūzō Aoki (1844 bis 1914) war Außenminister, enger Berater des japanischen Kaisers und als Gesandter in fast allen europäischen Ländern unterwegs. Er traf auch Kaiser Franz Josef und war als Übersetzer der großen japanischen Delegation bei der Weltausstellung 1873 in Wien. Aoki ist der Ur-Urgroßvater von Niklas Salm-Reifferscheidt, Besitzer des Schlosses Steyregg bei Linz.
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Niklas Salm-Reifferscheidt (52) ist Besitzer des Schlosses Steyregg. Mit dem von ihm vor 20 Jahren initiierten Schüleraustausch zwischen Japan und Linz führt er das Wirken seines Ur-Urgroßvater Aoki Shūzō fort. Der war japanischer Außenminister, Berater des Kaisers und entscheidend dafür verantwortlich, dass das Land der aufgehenden Sonne sich nach langer Selbstisolierung ab cirka 1870 dem Westen annäherte. Der aktive Kontakt mit anderen Kulturen war Voraussetzung für die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung Japans.

- Niklas Salm-Reifferscheidt besuchte mit einer oberösterreichischen Wirtschaftsdelegation unter Leitung von Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner und Wirtschaftskammer-Präsidentin Doris Hummer die Weltausstellung Expo in Osaka und auch die Universität in Tokio, wo Studenten innovative Materialien präsentierten.
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OSAKA, TOKIO, STEYREGG. "Völkerverbindung, die Angst vor dem Fremden nehmen, die eigene Kultur hinterfragen und sie weiterentwickeln, indem andere Elemente übernommen werden." Diese Botschaft sei wichtiger denn je, sagt Salm-Reifferscheidt im Gespräch mit MeinBezirk Oberösterreich im Rahmen des Besuchs einer oö. Wirtschaftsdelegation der Weltausstellung EXPO in Osaka und in Tokio. Für ihn ist die von Oberösterreichs Wirtschaftslandesrat Markus Achleitner und Wirtschaftskammer-Präsidentin Doris Hummer angeführte Mission eine Reise in die eigene Familiengeschichte:
Flügel auf EXPO als Zitat der Geschichte
Salm Reifferscheidts Ur-Ur-Großvater hieß Aoki Shūzō. Dessen Wirken war indirekt dafür verantwortlich, dass heute im österreichischen Pavillon auf der Weltausstellung EXPO ein Bösendorfer-Flügel präsentiert wird. Die Vorgeschichte: Als 1868 der "Shogun" genannte Staatsführer in Japan abgesetzt worden war, kam wieder der Kaiser an die Macht – als 16-Jähriger. Die Bevölkerung erwartete vom jungen Regenten, dass er die Amerikaner aus dem Land wirft, die zuvor die Öffnung Japans für Ausländer erzwungen hatten. Aber der junge Kaiser beschloss, dass es für Japan wichtig war, andere Kulturen kennenzulernen, damit das Land auf Augenhöhe betrachtet und behandelt werde.
Preußen beeindruckte japanischen Ur-Urgroßvater
So bekam Aoki Shūzō die Möglichkeit, in Berlin Medizin zu studieren. Bei seiner Anreise hatte er ein Schlüsselerlebnis: In Hannover sah er das preußische Militär beim Exerzieren und sein laut Salm-Reifferscheidt überlieferter Eindruck lautete: „Sie haben schlichte graue Uniformen, aber sie marschieren wie teuflische Dämonen.“ Aoki Shūzō schrieb an den Kaiser, dass man sich das deutsche Militär zum Vorbild nehmen müsse, und dass dieses den deutsch-französischen Krieg gewinnen werde. Weil sich diese und andere Vorhersagen Shūzōs bewahrheiteten, schickte ihm der Kaiser 100 Studenten nach Berlin mit dem Auftrag, sie auszubilden. Shūzō ließ die jungen Japaner nicht nur Medizin oder Jus studieren, sondern einen etwa in den Krupp-Stahlwerke arbeiten, andere im Gefängnis oder in einer Brauerei. Die „Erkenntnis“ Shūzōs, dass Bier die Arbeiter „weniger müde und betrunken“ mache als der japanische Sake, sondern „stark“, sorgte in der Folge für die Gründung von Brauereien in Japan wie Yebisu in Tokio oder Sapporo auf Hokkaido.
Krieg und Liebe
Als der Ur-Urgroßvater von Salm-Reifferscheidt nach Japan zurückkehrte, wurde er zum Außenminister und Berater des Kaisers ernannt – zu einer Zeit als das Land international aufstieg. 1904/05 kam es zum russisch-japanischen Krieg. Bei Verhandlungen über bessere Bedingungen für russische Kriegsgefangene lernte der deutsche Militärattaché, ein junger Adeliger mit russischen Wurzeln, Aokis Tochter kennen und verliebte sich in sie. Die beiden heirateten 1904 und bekamen eine Tochter – Salm-Reifferscheidts Großmutter mütterlicherseits: „So ist unsere Verbindung zu Japan entstanden.“
Linzer Schüleraustausch mit Japan
Im selben Jahr gründete sein Ur-Urgroßvater eine Schule in der Stadt Nasushiobara für die Kinder der Landarbeiter, in der diesen andere Kulturen nähergebracht wurden, um ihnen die Furcht vor dem bis dahin „Fremden“ zu nehmen. Eine Philosophie, die Salm-Reifferscheidt mit seinem Schüleraustausch fortführen wollte, der auf die von seinem Ur-Urgroßvater gegründete Schule zurückgeht, denn: „Die Aoki Elementary School gibt es heute noch, und 2004 wurde ich als Nachfahre des Gründers zur 100-Jahr-Feier eingeladen. Dabei lernte ich den Bürgermeister der Stadt kennen. Im Gespräch entstand die Idee eines Schüleraustausches, um durch das Kennenlernen des Fremden Ängste abzubauen“, erinnert sich Salm-Reifferscheidt. Und so kommen in Zusammenarbeit mit dem Europagymnasium Lisa im Linzer Auhof jährlich 35 bis 40 japanische Schüler für eine Woche nach Linz, wo sie bei Gastfamilien aufgenommen werden. Umgekehrt reisen österreichische Schüler nach Japan.
Städtepartnerschaft durch Schüleraustausch
Aus dem Austausch entstand 2016 eine Städtepartnerschaft mit Nasushiobara, einer Stadt etwas kleiner als Linz. In der hat der japanische Kaiser seine Sommerresidenz, weil sie mit einer ähnlichen Landschaft wie das Salzkammergut und vielen Heißwasserquellen vulkanische Ursprungs punkten kann. Die Städtepartnerschaft war einer der Gründe, warum man die WM für Karate 2016 in Linz veranstaltet hat – genau zum Zeitpunkt, als die Sportart als olympische Disziplin anerkannt wurde. Bei den olympischen Spielen 2021 in Tokio bezogen die österreichischen Leichtathleten und Teilnehmer der Paralympics ihr Quartier in Nasushiobara.
Ur-Urgroßvater bei Kaiser Franz Josef
Mit dem Besuch von Salm-Reifferscheidt bei der aktuellen Weltausstellung im japanischen Osaka schließt sich ein historischer Kreis: Im Gegensatz zu anderen Regenten betrachtete Kaiser Franz Josef Japan auf Augenhöhe und lud das Land zur Teilnahme an der Weltausstellung 1873 in Wien als vollwertiges Mitglied mit eigenem Pavillon ein. Aoki diente in dieser Zeit auch als Gesandter Japans am Hof des österreichischen Kaiser und war so wie sein Ur-Urenkel 152 Jahre später bei der Weltausstellung zugegen.
Im Österreich-Pavillon auf der EXPO in Osaka wird unter anderem eine Sonderedition eines Bösendorfer-Flügels zur Schau gestellt, die mit modernster Technologie des japanischen Eigentümers Yamaha ausgestattet ist – nicht zufällig: Franz Josef hatte Kaiser des Landes der aufgehenden Sonne einen Bösendorfer-Flügel geschenkt. Dort kannte man die Harfe, aber noch nicht das Klavier, weshalb das Instrument den Namen „Wiener Harfe“ erhielt.
Die Japaner wussten die Einladung des österreichischen Kaisers zur Weltausstellung 1873 zu nutzen: „Kein anderes Land erhielt so viele Auszeichnungen für ihre Handwerkskunst“, erzählt Salm-Reifferscheidt. Er hat sich intensiv mit der Geschichte seiner Familie auseinandergesetzt und stellt das, „was den zweiten Weltkrieg überlebt hat und für Japan bedeutend ist“ in zwei Museumsräumen im Schloss Steyregg aus.


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