Jahreskreis 30 - 11: In der Weinkellerei
(von Christoph Altrogge)
Ich folgte ihm bis vor ein Wirtschaftsgebäude, aus dem ein sehr laut zischendes Geräusch zu hören war. Eine altertümliche Halle folgte, in dem sich alle möglichen technischen Einrichtungen befanden.
"Ich werde mich jetzt mal bemühen, hochdeutsch zu reden, weil du sonst wahrscheinlich nicht viel mitkriegen würdest", ergriff Wilhelm das Wort, nachdem er den Raum betreten hatte. "Sobald der Papa mit dem Traktor und den Trauben gekommen ist, kannst du hier gleich die ersten paar Schritte sehen, wie aus Trauben Wein entsteht."
Kurze Zeit später war Wilhelms Vater mit dem Traktor vorgefahren. Mit Hilfe einiger Fahrmanöver brachte er ihn so vor dem Eingang des Gebäudes zum Stehen, dass sich die Ladefläche unmittelbar vor einer Anlage direkt am Eingang befand.
"Der erste Schritt in der Weiterbearbeitung vom Wein nach der Lese", begann Wilhelm zu erklären, "ist mal das Rebeln. Die Beeren werden dabei von den Stielen getrennt und zerquetscht – die so genannte Maische entsteht." Er zeigte auf einen silbergrauen Metallbehälter direkt vor der Anhängerladefläche. "Das geschieht in genau dem Gerät hier; es heißt daher auch ganz folgerichtig Rebler."
Wilhelm drückte auf ein paar Knöpfe und Schalter. Die Maschine begann darauf mit ohrenbetäubendem Krach zu arbeiten. Wilhelms Vater ließ dann die Ladefläche des Anhängers hochfahren. Nach und nach verschwanden darauf die Beeren im Inneren der Maschine. Fast gleichzeitig kamen an einer anderen Stelle des Gerätes bereits wieder die leeren Stiele heraus.
Wilhelm holte eine Heugabel aus der Ecke. Er stieg mit ihr auf einen kleinen Sockel aus aufeinandergelegten Ziegelsteinen am Rande des Reblers. Von dort oben aus kratzte er diejenigen Trauben von der Ladefläche des Hängers, die nicht von sich aus in den Rebler fielen. "Es gibt übrigens auch ein altes Heurigenlied unter dem Titel 'Oba g'rebelt muass er sein!'", teilte er mir mit, als er vom Sockel wieder herunterstieg.
Er zeigte dann auf den in kürzester Zeit ziemlich schnell angewachsenen Berg von Traubenstielen neben dem Rebler und erklärte mir: "Die Pressrückstände, die beim Keltern entstehen, werden als Trester oder Trebern bezeichnet. Die sehen zwar nach Abfall aus, sind aber ein wertvoller Rohstoff. Mit denen kann man noch sehr viel machen. Wir zum Beispiel führen sie wieder dem Boden zu. Auf die Art wird dem Boden nämlich keine Biomasse entzogen, was mit eines der wichtigsten Kriterien in einer ökologisch-nachhaltigen Landwirtschaft ist. Und Trebern sind außerdem mit der beste Dünger, den es gibt. Kaum eine Biomasse hat so einen hohen Energiegehalt, setzt soviel Energie um und fällt als Abfallprodukt in so großen Mengen an. Man kann damit wirklich sehr viel machen. Früher stellte man einen Brand daraus her, was heute allerdings nicht mehr der Fall ist. Für Kernöl lässt es sich verwenden. Sogar für einen hundert Prozent biologischen Aktivdünger. Für Biofilter kann man es nehmen; für Erdreichsanierung; als Tierstreu; als Tierfutterzusatz ... Auf alle Fälle ist es eine gute Alternative zum Nitratdünger. Der schadet nämlich dem Boden und dem Grundwasser."
Gleich neben dem Rebler stand ein riesiger Bottich. In ihn wurde vom Rebler ausgehend durch einen Schlauch eine Art Weinbeerenbrei gepumpt. Wilhelm zeigte darauf und erklärte: "Das ist das erste Zwischenprodukt nach dem Rebeln, die Maische. Hier entwickelt sich aber bereits schon das Bukett des späteren Weines. Ja, und hier sieht man auch den zweiten Schritt, das so genannte Maischen. Er besteht darin, dass man die Maische hier in diesem offenen 2.000-Liter-Bottich erst einmal mehr oder weniger sich selbst überlässt. Natürlich, gewisse Handgriffe sind auch da zu erledigen. Aber im Großen und Ganzen muss man hier der Natur das Feld überlassen."
Ein Stück weiter befand sich ein ebenso wie der Rebler silbergrauer, quaderförmiger, oben offener Behälter mit trapezförmigen Schutzblechen. In seinem Inneren drehte sich eine Walze.
"Das ist eine Weinpresse, die mit Luftdruck funktioniert. Das Modell ist übrigens das Neueste, was der Markt zurzeit zu bieten hat. Für das Ding haben wir ganz schön ablegen müssen. Hier in dem Gerät folgt dann der Schritt nach dem Rebeln und dem Maischen, und zwar das Pressen oder Keltern. Die Maische wird jetzt weiter bearbeitet. Hierbei gibt es übrigens einen Unterschied zwischen Weißwein und Rotwein. Rotweintrauben, wie die hinter uns, bleiben als Maische einige Tage im Bottich stehen. Das hat zwei Gründe. Und zwar kommt es dabei zu einer Vorgärung, und gleichzeitig gehen die Farbstoffe der Schale in Lösung. Die Länge der Vorgärung bestimmt deswegen auch die Farbe des Weines. So entsteht durch eine kurze Vorgärung zum Beispiel die helle Farbe von Rosé-Weinen. Und je dunkler die Farbe vom fertigen Wein werden soll, umso länger muss die Maische klarerweise stehen.
Bei Weißweintrauben übergeht man diesen Schritt des Maischens. Sie werden sofort gepresst, und der Most, also der Teil der Maische, auf den es ankommt, fließt in einen speziellen Behälter.
Ja, und was jetzt wieder die Kette in der Weinentwicklung betrifft, ist der vierte logische Schritt dann die Hauptgärung, die man hier jetzt allerdings schon nicht mehr sieht. Der Most kommt dann sowohl bei Weißweinen als auch bei Rotweinen etwa eine Woche lang in ein unverschlossenes Fass. Er wird dabei zu 'Sturm'. Der Name kommt daher, da während dieser Zeit unter stürmischer Kohlendioxydentwicklung der Traubenzucker in der Flüssigkeit mit Hilfe von Hefe umgewandelt wird."
"Gibt es 'Sturm' eigentlich nur von weißen Trauben?" fragte ich Wilhelm.
Er schüttelte den Kopf. "Es gibt roten 'Sturm' genauso. Allerdings sind weiße Trauben dazu besser geeignet." Gleich darauf fiel es mir wieder ein, dass ich auf dem Weinlesefest in den Tagen zuvor ja auch roten 'Sturm' getrunken hatte.
"'Sturm' im Allgemeinen ist übrigens auch ziemlich gesund. Er enthält wichtige Mineralstoffe wie Kalium, Calcium und Magnesium. Und auch sonst hat er sehr viel, was der Körper braucht, zum Beispiel Eisen oder Vitamin-B-Komplex.
Und um wieder auf die Gärung zurückzukommen: Rotwein muss auch schon vorher in der Maische gären", nahm Wilhelm seinen Faden von zuvor wieder auf. "Dabei muss er außerdem auch zwei- bis dreimal täglich untergetaucht werden, da sonst die Beeren immer wieder aufsteigen.
Der fünfte Schritt ist die Nachgärung. In der Phase entwickeln sich die Aromastoffe des Weines und es entsteht der Jungwein.
Der sechste und mehr oder weniger letzte Schritt besteht in der Reifung oder Alterung, wie es auch ausgedrückt wird. Die Aromastoffe, die während der Nachgärung entstanden sind, entwickeln sich jetzt voll und ganz. Einige Weine werden während dieser Zeit auch in Fässern aus französischer Eiche gelagert. Sie sollen dadurch zusätzlich noch Aromastoffe des Holzes annehmen. Wein, der so ausgebaut wird, wird umgangssprachlich daher auch 'Oachana' genannt, also 'zu Deutsch' Eichener. Und das Verfahren dazu ist der so genannte Barrique-Aus-bau. Der ist zurzeit sehr im Kommen. Fassbinder, die sich darauf spezialisiert haben, machen momentan gute Geschäfte. In Hollabrunn zum Beispiel gibt es eine Firma, die solche Fässer herstellt. Von dort beziehen wir auch unsere. In so ein Fass kann man übrigens nur dreimal eine Ernte einfüllen, dann ist es ausgelaugt."
Wilhelm ging zu einem offenen Behälter mit Traubensaft. Er nahm von irgendwoher ein leeres Glas, schöpfte damit aus dem Behälter, überreicht es mir und sagte: "Das ist ganz frischer Most von den Trauben, die wir gerade erst gelesen haben." Ich trank das Glas leer.
In einer Ecke des Raumes fiel mir ein kleiner, altertümlicher Eisenpflug auf. "Das ist unser 'Selbstmörder'", erklärte mir Wilhelm, als er mein Interesse bemerkte. "Mein Großvater hat mit ihm noch gearbeitet."
"Selbstmörder?" wiederholte ich.
"Ja, das heißt hier in der Gegend so. Ich weiß auch nicht, warum."
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