Jahreskreis 30 - 2: Der Morgen nach dem Weinlesefest
(von Christoph Altrogge)
Nachdem ich das Haus verlassen hatte, war ich ausnahmsweise nicht in Richtung Lehengasse gegangen. Ich hatte als Schulweg stattdessen die Route Wienerstraße, Hauptplatz, Znaimerstraße und Kirchenstraße gewählt. Ich wollte sehen, wie der Hauptplatz am Montagmorgen nach dem großen Fest aussah.
Nach ein paar Minuten hatte ich die Wienerstraße hinter mir gelassen. Ich blieb zunächst auf der Höhe des Schuhgeschäftes Mühltaler stehen.
Der Platz zeigte sich so, wie es nach einem gigantischen Spektakel von den Ausmaßen der letzten drei Tage zu erwarten war. Fast die gesamte Fläche des Platzes war übersät mit Papptellern, zusammengeknüllten Servietten und Plastikbechern, als hätte es sie geregnet.
Die Hütten auf dem Platzinnenteil standen völlig leer da. Die einzigen Anwesenden dort waren die Arbeiter des städtischen Bauhofes. An etliche Stellen zwischen den Hütten waren diese unterwegs, um mit breiten Besen den Unrat zusammenzufegen.
Am Beginn der Herrengasse sammelten gleichzeitig die Angestellten der örtlichen Straßenmeisterei die dort befindlichen Sperrschilder ein. Direkt bei ihnen stand einer ihrer charakteristisch orangen Klein-Lkw. Auf seiner Ladefläche befanden sich schon ein paar Sperrschilder von anderen Stellen.
Der gesamte Platz wirkte wie ausgestorben. Mit Ausnahme der Arbeiter und mir war kein einziges Lebenszeichen registrierbar. Keine Passanten, keine Fahrzeuge, nichts. Der Zustand wirkte fast gespenstisch im Vergleich zum vorherigen Abend.
Die Männer von beiden Betrieben sprachen in normaler Lautstärke miteinander. Trotzdem hallte jeder ihrer Sätze aufgrund der Leere unglaublich laut wieder.
Ich sah auf die Armbanduhr. Fünf Minuten vor Um Sieben. Auch wenn der Unterricht erst in einer Viertelstunde anfing, beschloss ich, weiterzugehen, damit ich nicht rennen musste.
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