Brandserie jährt sich zum 20. Mal
Als in St. Georgen Ausnahmezustand herrschte

Flammendes Inferno am Sperlhof oberhalb von St. Georgen, einem der Brandorte im November.
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  • Flammendes Inferno am Sperlhof oberhalb von St. Georgen, einem der Brandorte im November.
  • hochgeladen von Eckhart Herbe

Am 31. Oktober 1999 brannte ein Holzschuppen mitten im St. Georgener Ortszentrum. Dass dies der Auftakt zu einer zweieinhalbmonatigen Brandserie war, die Angst und tiefes Misstrauen in der Bevölkerung säte, Helfer und Behörden ans Limit brachte und die Marktgemeinde in den Fokus eines Medienhypes rückte, ahnte noch niemand.

ST.GEORGEN/GUSEN. Als sechs Tage später in Langenstein ein Bauernhaus in Flammen aufgang, sah vorerst kaum jemand einen Zusammenhang. Doch als in diesem November am 13., 17. und 26. immer nachts zwei weitere landwirtschaftliche Anwesen und eine freistehende Scheune in Luftenberg und St. Georgen brannten, wurde schnell klar: das kann kein Zufall sein.  Brandermittlungen zeigten, dass die Feuer gelegt waren. Auffällig dabei - immer in Wirtschaftsgebäuden, die betroffenen Höfe hatten intakte Brandschutzmauern zum Wohnbereich und Löschwasserstellen waren in der Nähe.  Ein schlimmer Verdacht keimte auf: ist es vielleicht ein Insider? Einer der hunderten Helfer, die bei eisiger Kälte um zwei Uhr morgens zum Löschen ausrückten, Spuren sicherten oder sich um die verstörten Opfer kümmerten? Gendarmerie und Kriminalpolizei begannen verstärkt in diese Richtung zu ermitteln, eine eigene SOKO Lucifer wurde gebildet. Feuerwehr, Rotes Kreuz und Gendarmerie im soeben eröffneten gemeinsamen Einsatzzentrum rückten emotional zusammen, war doch der Gedanke an einen Kollegen als Täter zutiefst verstörend.

Eskalation vor Weihnachten

In der Adventzeit herrschten vorerst drei Wochen Ruhe. Bis dann am 18. Dezember erneut die nächtlichen Sirenen heulten. Das hölzerne Stiegenhaus der zum Mietshaus umgebauten früheren Heindlmühle, mitten im Ort und nur 100 Meter vom Einsatzzentrum entfernt, stand in Flammen. Bewohner, in Pyjama und Nachthemden aus den Fenstern gerettet, saßen verstört mit heißem Tee beim Roten Kreuz, verloren durch Feuer und Löschwasser teilweise ihre gesamt Habe, persönliche Erinnerungen und Dokumente. Die Situation eskalierte.  Bis Jahresende brannte es auf dem Heindl-Areal zwei weitere Male, dazu eine Scheune in der Bahnhofstraße. Permanente Nachteinsätze, nach Rückkehr Befragung durch die Sicherheitskräfte, Telefonterror und Beschimpfungen gegen Polizisten, reißerische Sensationsberichte und Spekulationen in den Boulevardmedien strapazierten die Nerven aller Beteiligten aufs äußerste. An jeder Ecke wurde nach Interviewwilligen gesucht. Sogar Übertragungswagen deutscher Privat TV-Sender waren unterwegs, ein teils bizarres Bild der St. Georgener wurde gezeichnet.  Man begann, einander zu misstrauen. Ein schlechter Scherz oder auch nur eine zufällig an einem Brandobjekt vorbeiführende Joggingstrecke reichten manchmal, um verdächtigt und angezeigt zu werden. Fix montierte Kameras an allen Ortsausfahrten fotografierten jeden. Wer auffällig oft abgelichtet wurde, wurde befragt und musste ein Alibi vorweisen. Hochbetrieb hatte in diesen Wochen das eigens eingerichtete Kriseninterventionsteam des Roten Kreuzes, das sowohl für die Helfer als auch für die Bevölkerung  zu psychischen Unterstützung bereitstand.

Brandstifter feierte unerkannt mit Helfern

"Wer kann ausrücken, wenn zum Jahrtausendwechsel etwas besonders Spektakuläres passiert? Etwa Schule, Kirche oder Gemeindeamt brennen?" Mit einer freiwillig alkoholfreien Silvesterparty eines großen Einsatzteams von RK und Feuerwehr und deren Angehörigen bei einem von der Gemeinde gestifteten Buffet wurde vorgesorgt, das Millenium blieb ruhig. Kein Wunder, saß der, den alle suchten, doch unerkannt unter den Feiernden. Das nächste Feuer flammte drei Tage später keine zwei Minuten vom Einsatzzentrum entfernt auf. Der Fahndungsdruck wuchs jedoch enorm. Ab 4. Jänner 2000 waren in St. Georgen jede Nacht über 100 Sicherheitskräfte im Ort. Uniformierte Beamte sollten durch ihre sichtbare Präsenz den Täter abschrecken. Sie überprüften Fahrzeuglenker und Fußgänger, sichteten Hinweise - Basis  weiterer Nachforschungen und Alibiüberpüfungen. Verdeckt agierenden Sonderpolizisten von Spezialeinheiten und  Kriminalbeamte des Innenministeriums bewachten vermutete Wege des Täters und gefährdete Objekte mit Hilfe von Wärmebild- und Videokameras. Sie kommunizierten über ein aufwändig installiertes verschlüsseltes Funknetz  - mit dem heutigen digitalen Funksystem Adonis wäre eine Vernetzung aller Einsatzkräfte sofort möglich gewesen.

Die Schlinge zieht sich zusammen

Der seit der Briefbombenserie berühmte Profiler Thomas Müller erstellte auch für diesen Fall ein Täterprofil - und traf mit seiner Einschätzung voll ins Schwarze , wie sich kurz darauf zeigte. Mit gezielter Desinformation über die Medien wurde dem Brandstifter suggeriert, er stehe bereits unter Beobachtung, der Psychodruck dadurch enorm erhöht.
Am 6. Jänner brannte es wieder im Ortszentrum. Das Feuer wurde von Sonderpolizisten aber rechtzeitig entdeckt und schnell gelöscht. Der Brandleger entkam knapp - zum letzten Mal.
Die Maßnahmen der SOKO Lucifer ließen die Beamten hoffen: Der Täter könnte unbemerkt nur mehr in seiner unmittelbaren Wohnumgebung zuschlagen. Sie hatten bereits einen Verdacht und behielten recht: Am 10. Jänner 2000 heulte gegen Mitternacht  abermals die Sirene. In einem Gasthaus war ein Feuer ausgebrochen. Der 16-jährige Sohn der Besitzerin, ein Jungfeuerwehrmann, verständigte seine Kollegen und half beim Löschen.

Fußabdruck überführt den Täter

Den Ermittlern sagte er, ein Unbekannter wäre durch das Fenster in  eingedrungen und hätte das Feuer gelegt. Spuren dazu fehlten aber, der junge Mann verwickelte sich in Widersprüche. Entscheidendes Puzzleteil: der Sohlenabdruck seiner Schuhe stimmte mit gesicherten Abdrücken an früheren Brandorten überein. Angesichts dieses Beweises gab er zu, das Feuer im Lokal gelegt zu haben und gestand auch die anderen elf Brandstiftungen, zu denen er zu Fuß oder mit dem Moped gelangt war.  Bei fast allen Löscheinsätzen war er dann mit dabei. Übereifer und der fatale Wunsch eines eigentlich fleißigen und hochengagierten Jugendlichen, sich vor anderen zu beweisen, hatten ihn in diese Spirale geführt, aus der er dann nicht mehr herausfand.

In St. Georgen dauerte es für zahlreiche Bürger noch Monate, bis sie bei einem nächtlichen Sirenenton nicht mehr aus dem Schlaf hochschreckten und instinktiv kontrollierten, ob es nicht bei ihnen brennen würde. Die Helfer von Feuerwehr, Polizei und Rotem Kreuz  wurden durch die Ereignisse weiter zusammengeschweißt. Der gemeinsamen Einsatz , aber auch wechselseitige Unterstützung und Solidarität untereinander in einer extrem belastenden Zeit waren der beste Dünger für den guten "Einsatzzentrumsgeist" , der die Helfer an der Gusentalstraße bis heute auszeichnet.

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Foto: Cityfoto
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