Interview mit Sieglinde Frohmann
So feierten die Innviertel vor 100 Jahren Weihnachten
Sieglinde Frohmann, Leiterin der Kulturabteilung in Ried, ist wahrhaftig ein wandelndes Lexikon. Das hat sie bei unserem Interview über "Weihnachten vor 100 Jahren in Ried" wieder einmal unter Beweis gestellt.
Frau Frohmann, Ich möchte heute den Blick zurück werfen auf die Zeit vor 100 Jahren. Welchen Stellenwert hatten die Adventzeit und Weihnachten damals in der Zwischenkriegszeit im Innviertel für die Menschen?
Frohmann: Die Adventzeit und das Weihnachtsfest wurden vor 100 Jahren ganz anders begangen als heute. Das aus dem Lateinischen stammende Wort „Advent“ bedeutet „Ankunft des Herren“ und darauf hat man sich eingehend vorbereitet. Die Vorweihnachtszeit war damals noch eine strenge Fastenzeit – ähnlich wie jene vor Ostern. Der Fleischkonsum wurde deutlich reduziert, Süßigkeiten gab es kaum. Das heute so verbreitete Backen von Weihnachtskeksen war in dieser von Armut und Entbehrungen geprägten Zeit nur sehr eingeschränkt möglich. Keinesfalls aber durfte man die Kekse schon in der Vorweihnachtszeit essen. Diese wurden meist an geheimen Verstecken bis zum großen Fest aufbewahrt. Weiters hieß es bereits am 25. November „Kathrein stellt den Tanz ein“ und es durften bis Weihnachten auch keine Tanzveranstaltungen mehr abgehalten werden. Sehr gepflegt wurde aber in dieser ruhigen Zeit das gemeinsame Singen von Advent- und Weihnachtsliedern. Generell stand das kirchliche Fest viel mehr im Mittelpunkt als heute. Vor allem in bürgerlichen Kreisen wurde das Weihnachtsfest aber schon damals als Fest mit zahlreichen Geschenken für die Kinder gefeiert. Genau das wird auf dem Gemälde „Der erste Christbaum in Ried“ dargestellt, das sich in unserem Museum befindet.
Stichwort Christbaum. Hatten die Innviertler vor 100 Jahren bereits einen Christbaum und einen Adventkranz?
Ja, aber der Adventkranz mit seinen vier Kerzen als Symbol für die vier Adventsonntage ist ein relativ junger Brauch. Den ersten in Oberösterreich hat nach dem ersten Weltkrieg eine aus Deutschland zugewanderte Familie mitgebracht. Allgemein verbreitet hat sich der Adventkranz erst während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Ähnlich ist es mit dem Christbaum. Auch wenn wir in dem Gemälde „Der erste Christbaum in Ried“ ein sehr frühes Beispiel aus dem Jahr 1848 haben, darf man nicht glauben, dass der Christbaum damals schon allgemein üblich war. Zum Allgemeingut ist der Christbaum erst zur Zeit des Ersten Weltkriegs geworden, in ländlichen Regionen des Innviertels dauerte das sogar bis nach dem Zweiten Weltkrieg.
Was kam damals typischerweise im Innviertel zu Weihnachten auf den Tisch?
Der 24. Dezember war früher ein strenger Fasttag. Zu Mittag gab es nur eine einfache Fastenspeise und erst nach der Mette ein Festmahl. Meist wurden gebratene „Mettenwürste“ aufgetischt. Eine Alternative war der Karpfen. Auch heute noch ist es weit verbreitet, am Heiligen Abend Bratwürstel mit Sauerkraut zu essen. Nach dem Essen wurde die „Störi“ angeschnitten und verkostet. Der Begriff „Störi“ kommt aus dem Mittelhochdeutschen und bedeutet Kraft beziehungsweise Stärke. Es gibt zwei Arten: die weiße Störi, ein leicht gesüßtes Germteiggebäck aus hellem Weizenmehl und das Kletzenbrot beziehungsweise die Kletzenstöri. Beides verlieh Kraft und Gesundheit – besonders dann, wenn es am 24. Dezember gebacken wurde. Das Innviertler Festessen am Weihnachtstag war Dreierlei Fleisch mit „Schnidn“, also Schmalzgebackenem.
Gibt es bei Ihnen im Museum Ausstellungsstücke, die aus dieser Zeit stammen?
Ja, einige, etwa drei Fensterfiguren, die den heiligen Nikolaus, den Krampus und die Habergeiß darstellen. Es gibt aber auch zahlreiche Papierkrippen, die meist nur aus wenigen Teilen bestehen oder überhaupt aufklappbar sind. Ein besonders berührendes Stück ist ein Wachsapfel, in dessen Gehäuse die heilige Familie dargestellt ist. Pfarrer Veichtlbauer hat ihn 1915 für seine Sammlung erworben und 1933 mit nach Ried gebracht. Zusammen mit vielen anderen Exponaten ist er bei uns im Museum im Rahmen der diesjährigen „Kripperlroas“ zu sehen.
Heute wird das Christkind immer mehr von Santa Claus verdrängt. Wie war das vor 100 Jahren? Gab es damals bereits das Christkind, das die Geschenke brachte?
Da muss man ein wenig weiter ausholen: Zuerst war es nämlich der heilige Nikolaus, der bei uns die Geschenke gebracht hat. Aus dem von den holländischen Einwanderern mitgebrachten Sinter Klaas hatte sich in Amerika der Santa Claus entwickelt, der sich inzwischen bei uns nicht mehr vom Weihnachtsmann unterscheiden lässt. Der Weihnachtsmann per se war der Gabenbringer in den evangelischen Gebieten. Aus dem Heiligen der Katholiken im bischöflichen Ornat ist oft eine Nikolausfigur im Gewand des Weihnachtsmanns geworden und es hat sich auch der Termin der Geschenke vom 6. auf den 24. Dezember verlagert. Um die Zeit des Wiener Kongresses 1814/15 begann ein Bedeutungswandel: Das Christkind, dessen Kommen untrennbar mit dem Weihnachtstermin verknüpft ist, löste den heiligen Nikolaus als Gabenbringer ab. Im Innviertel hat aber auch das „Goldene Heißl“, ein goldenes Rößl, Geschenke für die Kinder gebracht. Der Siegeszug des Weihnachtsmanns hat in den 1930er Jahren begonnen – es gibt in unserer Sammlung einige sehr schöne aus Karton ausgestanzte, farbig bedruckte, geprägte und mit Glimmer verzierte Darstellungen des Weihnachtsmanns.
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