Episoden aus meinem Leben - Epilepsie
95. Splitter - Ich bitte um einen aussagekräftigen Titel
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Meine Frau, eine der Gallionsfiguren in der feministischen Szene, nimmt heute an der Menschenkette für Frauenrechte teil. Da zeitgleich ein Treffen mit ihren Geschwistern angesetzt ist, ersucht sie mich, der ich als Schwager ohnehin fixer Bestandteil dieser Zusammenkünfte bin, von Anfang an dabei zu sein und sie dabei „würdig“ zu vertreten und ihre verspätete Ankunft anzukündigen.
Obwohl ich seit vier Jahren wegen epileptischer Anfälle meinen früheren erstklassigen Orientierungssinn verloren habe, gehe ich zuversichtlich durch’s Leben. Ich muss dieses Wissen wieder mühsam erlernen. Um mich zurechtzufinden, brauche ich immer jemanden, auf den ich mich verlassen kann. Meistens ist das meine Frau. Für eigene Ausflüge drucke ich mir jedes Mal einen Plan der Wiener Linien aus, lese Straßenschilder und konsultiere im schlimmsten Fall mein Handy.
Auch diesmal werde ich mich problemlos orientieren können, wie man meinen möchte, da ich noch dazu klare Anweisungen von meiner Frau bekomme, wie ich - alleine ohne Unterstützung - dorthin kommen kann. Mittlerweile kennt sie mich und meine Schwächen. „Du fährst mit der U3 bis zum Stephansplatz und von dort mit der U1 bis zur Endstation Leopoldau! Dann gehst Du rechts hinaus und die zweite Gasse links ist unsere Glangasse!“
Mir ist alles klar. Am Stephansplatz beachte ich beim Aufzug penibel die Aufschriften, sodass ich ganz richtig zwei und nicht nur eine Etage hinunter fahre. Ab da ist es ein Kinderspiel. Einmal eingestiegen kann ich ohne Beachtung der Haltestellen bis zur Endstation fahren. Nach dem Verlassen des U-Bahn-Geländes gehe ich wie üblich - wenn wir meine älteste Schwägerin besuchen - auf die linke Seite. Das ist falsch. Aber ich will es auch dann nicht einsehen, als ich bemerke, dass es keinen Gehsteig bis zur zweiten Gasse gibt. Ich bin sicher, dass die Siedlung, in der sich mein Zielpunkt befindet, jetzt auf der rechten Seite von mir liegen muss. Also lasse ich mich nicht entmutigen und nehme anstatt dessen einen Feldweg in diese Richtung.
Als ich einen Passanten treffe, der mit seinem Hund äußerln geht, frage ich ihn, ob die angrenzende Gasse die Glangasse wäre. Er weiß es nicht. Unbeirrt setze ich meinen Weg fort und hoffe, bald einen anderen Spaziergänger zu finden. Ich begegne keinem. Selbstverständlich orientiere ich mich jetzt an den Straßenschildern. Bald entdecke ich eine um die andere Gasse, die mir aus früheren Zeiten ein Begriff ist. Ich bin erleichtert und gehe daher längere Zeit der Lafnitzgasse entlang. Bei den Quergassen mit den mir bekannten Namen ist komischerweise keine Glangasse dabei. Allmählich komme ich zur Einsicht, dass ich mich verirrt haben muss.
Ich denke zwar daran, die gastgebende Schwägerin anzurufen. Aber telefonische Anweisungen wären für sie schwer zu geben und für mich noch schwieriger zu interpretieren. Jäh überkommt mich der Impuls, endlich zu meinem letzten Hoffnungsanker zu greifen. Meiner Frau habe ich schon öfters versichert, dass ich nicht ganz verloren gehen könnte, wenn ich mein Mobiltelefon bei der Hand hätte. Ich ziehe mein Handy heraus und klicke auf Google Maps. Ab da sehe ich ganz klar, welche Richtung und welche Kreuzung ich wie nehmen muss. Allerdings bemerke ich aufgrund der Entfernungsangaben, dass ich noch einen Rückweg von 700 Metern vor mir habe, sodass mein Ausflug insgesamt drei Kilometer misst.
Schließlich komme ich mit einer Verspätung von einer halben Stunde zum Ziel, dem Elternhaus meiner Frau. Zusätzlich zu ihrer Verspätung muss ich jetzt auch meine verzögerte Ankunftszeit erklären.
Mein Schwager meint dazu: „Das kann doch nicht sein, dass man in einer Gegend, wo man schon so oft war, aus Versehen solche Umwege macht.“
Ich halte mich mit einer Antwort zurück, er ist ja nicht in meiner Situation. Für die Heimfahrt brauche ich keine topographischen Kenntnisse. Meine Frau, die später dann doch zu uns gestoßen ist, und ich werden von einer anderen meiner Schwägerinnen heimgeführt.
Epilepsie
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