"Für Jugendliche wird es immer schwieriger, 'jugendlich' zu sein"
13 Jahre lang begleitete Veronika Kuran als Streetworkerin Schärdings Jugend. Anlässlich des 20-Jahr-Jubiläums haben wir mit ihr über die Sorgen und Probleme der Jugendlichen einst und heute und die Aufgaben der Politik gesprochen.
Sie waren knapp 13 Jahre lang Streetworkerin in Schärding. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Es war eine prägende Zeit und ich habe sehr viel gelernt. Es war immer wieder eine Herausforderung, manchmal Überforderung oder Überwindung, oft viel Freude und manchmal sehr traurig. Ich bin unendlich dankbar für die Begegnungen und Erlebnisse und die Möglichkeiten, so viele Menschen, Lebensumstände und Welten kennen zu lernen, die mir bis dahin verschlossen waren.
Wie haben sich die Sorgen und Probleme der Jugendlichen in den Jahren verändert?
Die Sorgen und Probleme haben sich kaum verändert. Sie sind fast immer Ergebnis einer längeren Entwicklung schwieriger Lebensumstände. Die können zum Beispiel im Bereich der Familie, der Schule oder der Ausbildung liegen und sich durch fehlende Begleitung verfestigen. Die Versuche der Bewältigung verändern sich allerdings mit den angebotenen Möglichkeiten. Das können sowohl politische oder ideologische Bewegungen sein oder Menschen, Gruppen, Substanzen, die gerade zur Verfügung stehen. Wir haben links-und rechtsorientierte Jugendliche erlebt, Jugendliche, die sich verweigern, oder welche, die Suchtmittel konsumieren oder in virtuellen Welten verschwinden. Sie alle wollten sich orientieren, die Suche nach dem Kick beruhigen, Grenzen erfahren und Sicherheit und Zugehörigkeit erleben.
Warum landen die Jugendlichen "auf der Straße"?
Die „Straße“ ist ein Raum, in dem sich Jugendliche bewegen und begegnen. Problematisch wird es, wenn die „Straße“ unbegleitet und unbetreut zum Lern- und Sozialisationsort wird, weil es keine anderen Orte gibt, an denen geübt und gelernt werden kann. Wenn es keine Ausbildungsplätze und keine ansprechenden Freizeitangebote gibt, wenn Familien an der Armutsgrenze leben und somit auch zu wenige räumliche und finanzielle Ressourcen für die Kinder haben, wenn im öffentlichen Raum das Bedürfnis nach Begegnung nicht berücksichtigt wird, wird die „Straße“ zum einzigen Ort, an dem mehr oder weniger geduldet, gelebt oder überlebt wird.
Wie kann ihnen geholfen werden, was fehlt ihnen am meisten?
Jugendliche brauchen mutige Erwachsene, die bereit sind, sich wirklich einzulassen und die ihren Übermut und Lebenshunger aushalten. Sie brauchen Erwachsene, die bereit sind, zur Verfügung zu stehen und Orientierung zu geben. Erwachsene, die bereit sind Antworten zu versuchen auf die vielen Fragen und auf alles, was nicht ausgesprochen werden kann, weil die Worte noch fehlen. Sie brauchen Zugehörigkeit und Teilhabe, sie brauchen Räume zur Begegnung und zum Üben, sie brauchen Schutz und Sicherheit und Möglichkeiten sich zu probieren, ohne sich zu verletzen. Und sie brauchen unsere Zeit, unsere Geduld und unser Vertrauen.
Was kann von Seiten der Politik getan werden?
Verantwortung übernehmen, Räume schaffen, erwachsene Begleiter anbieten, unser Bildungs- und Schulsystem schleunigst und gründlich hinterfragen und das Bewusstsein entwickeln, dass jede Investition für unsere Kinder und Jugendlichen eine in die Zukunft ist. Kindheit und Jugend sind kurze Zeitspannen und die brauchen eine Politik, die unmittelbar und zeitnah reagiert, weil sie sonst zu spät kommt …
Die Jubiläumsfeier steht unter dem Titel "Verschwende deine Jugend" – warum?
Weil es für Jugendliche schwieriger wird, „jugendlich“ zu sein, eigene Erfahrungen zu machen und Grenzen auszutesten. Die Jugendphase wird immer stärker von ökonomischen Gesichtspunkten geprägt: lernen, eine Ausbildung machen, die Karriere planen. Das geht früh los, und wer nicht mithalten kann, ist selber schuld und hat es halt nicht geschafft.
Das Motto „Verschwende deine Jugend“ versucht darauf Bezug zu nehmen und zu sagen: Geh deinen eigenen Weg, auch wenn du gelegentlich aneckst! Gerade habe ich z. B. in der Zeitung gelesen, dass viele erfolgreiche und innovative Unternehmer als Jugendliche selbst „schwierig“ und „aufsässig“ waren.
Zur Person:
Von 1996 bis 2009 arbeitete und lebte die in Linz geborene Veronika Kuran als Streetworkerin in Schärding. Als ehemalige Leiterin war sie maßgeblich am Aufbau des Streetwork-Büros in Schärding – neben Braunau der ersten "Streetwork-Niederlassung" im ländlichen Raum – beteiligt. Heute wohnt sie in der Steiermark, wo sie beim Verein Grüner Kreis als Leiterin der Vorbetreuung arbeitet.
Jubiläumsfest
Unter dem Motto "Verschwende deine Jugend" lädt Streetwork Schärding am Donnerstag, 5. September, ab 18 Uhr zum 20-Jahr-Jubiläum in den Kubinsaal Schärding. Neben Veronika Kuran werden unter anderem Soziallandesrat Josef Ackerl, Bezirkshauptmann Rudolf Greiner und Philosoph Thomas Mohrs zum Thema referieren und über ihre eigene Jugend sprechen. Mit Breakdance unterhält die Gruppe "United Minds" aus Wels, anschließend wird zum Buffet geladen. Ab 22 Uhr findet im Monroe eine "After Party" statt.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.