Das Huhn fürs Huhn

- fotografiert aus Gartenmagazin kraut&rüben 5/2014
- hochgeladen von Violetta Fiori
Ich liebe Hühnchen
und fand diese Geschichte aus der Feder von Susanne Wiborg einfach bezaubernd.
Gelesen im Gartenmagazin kraut&rüben Mai 2014
Was – noch ein Huhn? Ja, dieses eine musste es noch sein, fand ich. Meinen Garten belebte inzwischen zwar ein buntes Zwergwyandotten-Sextett, aber eine Henne in meiner Traumfarbe Gestreift hatte ich nirgendwo finden können. Um mir diesen letzten Zuzugswunsch noch zu erfüllen, kam die große Geflügelschau im Nachbarort gerade recht und die heißersehnte Gestreifte mit – und das, allen Versuchungen zum Trotz, allein. Ich war richtig stolz auf meine Selbstbeherrschung.
Doch dass genau dieser Solo-Einzug der kleinen Hannelore (selbstverständlich Loki genannt!) ein dicker Anfängerfehler gewesen war, wurde schnell klar. Die anderen Hennen, nur wenige Wochen älter, sahen das Beinahe-Küken – und schlossen die Reihen. Fest. Lokis herausragendste Eigenschaft war auch nicht dazu angetan, sie beliebter zu machen: Sie war unglaublich dreist. Futter verwandelte sie in einen gestreiften Blitz und die anderen hatten das Nachsehen. Sie scheute nicht einmal davor zurück, Chefin Henriette einen dicken Brocken ruppig aus dem Schnabel zu reißen und flatternd das Weite zu suchen, bevor die Beraubte reagieren konnte. So war Loki gezwungen ihre Gartenrunden einsam zu drehen, während alle anderen im Duo unterwegs waren. Und bei der gemeinsamen Putz- und Dösrunde musste sie weiten Abstand halten und sogar alleine abseits auf der Hühnerleiter schlafen.
Wie sehr die Kleine darunter litt, zeigte sie unübersehbar. Kam ich in den Garten, heftete sich sofort ein jämmerlicher kleiner Schatten an meine Fersen, der, Stressmauser sei Dank, aussah wie ein aufribbelndes Ringelsöckchen. Lokis klagend langgezogene Gaaks und Goocks klangen verdächtig nach: „Die lassen mich nicht mitmachen!“ Es war herzzerbrechend, und als sie auch noch anfing, ständig auf der Türmatte zu sitzen und mit langem Hals sehnsüchtig ins Haus zu spähen hatte sie meine Enthaltsamkeitsvorsätze endgültig geknackt: Die Nummer acht musste her – ein Huhn fürs Huhn. Aber nicht irgendeines: „Kaufen Sie ihr lieber eine Schwester dazu“, riet der Züchter unseres Vertrauens, den ich nach einer Junghenne fragte. „Nicht dass Sie mit einer Fremden das Problem im Doppelpack bekommen.“ Mir war zwar nach ungläubigem Kopfschütteln zumute – ob Hühner da wirklich unterscheiden?
Aber wir fuhren tatsächlich quer durch die Heide, um Schwester Lotta zu kaufen, die mit Loki gemeinsam aufwuchs und von ihr nur durch die dunklere Farbe und einen winzigen Kammfehler zu unterscheiden ist.
Ich setzte Lotta zunächst alleine in den Stall, und als sie nervös zu kakeln begann, nahmen sechs Hennen draußen keine Notiz davon. Aber die siebente: Aus der entferntesten Gartenecke löste sich ein gestreifter Schatten und kam halb flatternd, so schnell angerannt, dass er fast über die gelben Riesenfüße zu stolpern schien: Loki! gerührt öffnete ich ihr die Tür, in der herzerwärmend sentimentalen Erwartung, jetzt die hollywoodreife Hühner-Version der großen Wiedersehensszene vorgeführt zu bekommen. Action gab es dann auch umgehend: Aber statt sich sozusagen schluchzend in die Arme zu fallen, sträubten die beiden Schwestern die Halsfedern und prügelten sich dermaßen heftig, dass bei Loki die Federn nur so flogen, und Lotta aus einer Kneifwunde am Kamm blutete.
Doch danach waren sie unzertrennlich und blieben es bis heute. Schon an diesem ersten Abend schliefen sie zusammen auf der Leiter, nicht nur so dicht aneinander gekuschelt, dass kaum zu erkennen war, wo die einen Streifen anfingen und die anderen aufhörten, sondern sogar so, wie ich es bisher nur bei dem nie getrennten Geschwisterpaar Hermine und Henriette gesehen hatte: eine hatte den Flügel über die andere gelegt wie eine hudernde Henne. Es war kaum zu glauben: Hatten sie sich tatsächlich wiedererkannt? Nach fast vier Wochen Trennung? In fremder Umgebung? Das schien mir so unwahrscheinlich, dass ich umgehend Konrad Lorenz‘ Buch „Der Kumpan in der Umwelt des Vogels“ zu Rate zog. Und siehe da: Viele Vögel erkennen ihre Gefährten auch noch nach Monaten, ja nach Jahren wieder – eine Intelligenzleistung, die ich zwei Haushühnchen niemals zugetraut hätte. Aber so vertraut, wie diese beiden auf Anhieb waren, gab es keine andere Erklärung. Draußen durchstreiften sie das Revier derart eng beieinander, als hätten sie Magneten an den Flügeln, und das kleine Hühner-Happyend ging sogar noch weiter.
Plötzlich herrschte nicht nur Ruhe in der Gruppe, sondern die beiden Jüngsten gehörten dazu. Wenn jetzt gerastet wird, sitzen sie alle eng zusammen, die Gestreiften mittendrin. War die deutlich jüngere Loki den anderen durch ihre verzweifelte Anschluss-Suche einfach fürchterlich auf die Nerven gegangen? Ich weiß es nicht. Leichter wurde das Leben für die Älteren jedenfalls nicht, denn jetzt kommt die Frechheit gleich im Doppelpack: Lottchen steht Schwester Loki da nur sehr wenig nach. Dennoch, die Aktion „das Huhn fürs Huhn“ war ein voller Erfolg, und ich wünsche mir jetzt eigentlich bloß noch eines: das Glück, dass diese lustige, harmonische Truppe hier zusammen so richtig alt werden darf.
Susanne Wiborg
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