Kaiserebersdorf
"Unser Grätzel wird bald zugesperrt"
Kaiserebersdorf: Bewohner fordern Aktionen gegen die Abwanderung von Unternehmen.
SIMMERING. "Immer mehr Leut’ ziehen hier her, Wohnungen werden massenhaft gebaut, aber die Geschäfte werden immer weniger", bringt Leopoldine Scheuchenpflug ihr Anliegen auf den Punkt. Die 78-Jährige ist eine Leberbergerin der ersten Stunde.
"Bereits 1996 bin ich hier her gezogen", erinnert sich die Simmeringerin. Damals gab es wenig Menschen, die hier wohnten, aber etwa drei verschiedene Bankfilialen. Die Anfänge waren ein bisschen wie in einem Dorf. Man konnte zu Fuß zu den einzelnen Greißlern und Diskontern sowie den anderen Läden für den täglichen Gebrauch gehen, erinnert sich Waltraud Schmaus. Inzwischen hat sich viel geändert.
Ausflug zum Geldabheben
"Wenn ich heute in den Urlaub fahre und fremde Währung brauche, muss ich zwei Mal zur Bank fahren. Dafür brauche ich jedesmal über eine Stunde", ärgert sie sich. Grund: Alle Bankfilialen in Kaiserebersdorf haben geschlossen. Nun heißt es für Jung und Alt: ab zum Enkplatz oder nach Schwechat.
"Wir regen uns aber nicht nur für uns auf", so Scheuchenpflug. "Die Jugend hat ja genau die gleichen Probleme", weiß die Seniorin. So gibt es zwar ein Jugendzentrum, aber das habe nicht täglich offen, "und sonst können die Jungen nirgends am Leberberg einander treffen".
"Unser Grätzel wird bald zugesperrt", orakelt auch Walter Weilguni. Er findet besonders schlimm, dass noch immer keine U-Bahn bis nach Kaiserebersdorf fährt. "Wir müssen für alle Wege unser Grätzel verlassen – und können nur mit Bus oder Bim herumzockeln, wenn man nicht mit dem Auto fahren möchte."
Aus für die Ordination
Ganz schlimm ist für die Kaiserebersdorfer, dass mit Ende März das Röntgeninstitut Dippelreiter zusperrt – der Arzt geht in Pension. "Wir wissen, dass es Interessenten für die Ordination gibt, aber es wird kein Kassenvertrag vergeben", so Scheuchenpflug.
Eine Nachfrage bei der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) ergab, dass eine Nachbesetzung nicht vorgesehen sei, da radiologische Stellen nur mehr in Gruppenpraxen nachbesetzt werden.
"Man lässt uns alleine"
"Für Simmering ist ein großes Zentrum in direkter U-Bahn-Nähe vorgesehen", heißt es von der WGKK. Starten wird diese Ordination Anfang 2019. "Die WGKK möchte klar darauf hinweisen, dass durch die Schließung einer radiologischen Ordination kein Versorgungsengpass entsteht." So könnten die Leberberger auch einen Vertrags-Arzt der Gebietskrankenkasse in Schwechat besuchen.
Leopoldine Scheuchenpflug, Waltraud Schmaus und Walter Weilguni fühlen sich allein gelassen. "Wenn jetzt auch die Ärzte hier wegziehen, werden wir noch zu einem Slum", übertreibt die Simmeringerin und hofft auf eine Trendwende.
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.