Im Archiv entdeckt

- Zum Gedenken an meine Mutter
- hochgeladen von Roswitha Stetschnig
Meine Mutter Michaela (1914 - 1993) hat -
ebenso wie einige andere Verwandte meines mütterlichen Stammbaums -
gern Gedichte geschrieben.
Meine Großmutter dichtete meines Wissens zwar nicht selbst, aber sie konnte schöne Gedichte aufsagen. Kurz vor ihrem Tode trug sie am Krankenbett der versammelten Schar ihrer großen Familie ein ellenlanges Gedicht vor, das sie sich noch aus ihrer Schulzeit - also an die 70 Jahre lang - auswendig gemerkt hatte! Darin wurden auf sinnstiftende Weise die Jahreszeiten der Natur mit dem menschlichen Lebensrhythmus verglichen. Dieses Erlebnis wurde für mich zu einem der unvergesslichen und zielweisenden Momente.
Meine Mutter half mir während meiner Schulzeit beim Auswendiglernen von Gedichten und konnte sie mindestens so gut wie ich aufsagen.
Die eigene lyrische Ader meiner Mutter wurde besonders im Frühling geweckt.
Den heutigen Muttertag möchte ich zum Anlass nehmen, eines ihrer Gedichte an dieser Stelle zu veröffentlichen:
Der Lenz mit seiner Macht
Mir kommt es vor, als wär heut Nacht
der Lenz erst selbst vom Schlaf erwacht.
Und schon folgt alles seinem Ruf,
was Gott da einst zum Leben schuf.
Was gestern schlief noch in der Erden,
das weckt er auf zu neuem Werden.
Sogar am Menschen rüttelt er
und will, dass es ihm inne wär,
für welche übergroße Macht
ihn Gott wohl hat bedacht.
An meine Mutter dachte ich,
wie sehr mein Reim dem ihren glich,
den sie hat einst zu mir gesprochen,
vor ihrem Tod nur wenig Wochen.
"Mag denn der Lenz, so mächtig er,
auch alles aus dem Schlaf erwecken,
doch jene kann er nimmermehr,
die ruhen unter Hügeldecken."
(Michaela St.)
Liebe Mama, auch wenn der Frühling dich nicht mehr erwecken kann,
du lebst dennoch in meinem Herzen -
und im Herzen Gottes.
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