Aus dem Leben einer Gestrandeten

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Lisa Hörtnagl berührt und begeistert als Obdachlose in der Tragikkomödie "Die da!".

Von Christine Frei

Sie schreit, erzählt, zuckt aus, säuft, nein spült sich die Schreckgespenster weg, die sie zuvor für uns auferstehen ließ, um im nächsten Moment schon wieder die nächste Geschichte auszupacken aus jenem alten Kinderwagen, in dem sie ihre letzten Habseligkeiten durch die Stadt fährt. Ja, diese Frau ist fertig und vollkommen hinüber.

Draußen auf der Straße würde man wohl einen Bogen um sie machen, stattdessen starren wir sie zu Beginn unverhohlen "deppat" an, wie sie uns sogleich etwas unwirsch zu verstehen gibt. Denn Lisa Hörtnagl, kaum wiederzuerkennen in ihrer Aufmachung als Sandlerin, hat diesen tragisch-komischen Monolog der Berliner Schauspielerin und Autorin Christiane Reiff absolut überzeugend in den allertiefsten Innsbrucker Slang übertragen. Und sie spielt diese Gestrandete mit einer physischen wie psychischen Wahrhaftigkeit und Intensität, dass man sich weder entziehen noch abwenden kann, sondern hineinhört, in dieses Leben, das schon von Kindesbeinen an vorgezeichnet scheint, weil sie nie etwas anderes kennengelernt hat als Missbrauch und Gewalt.
Beklemmend etwa, wenn sie schildert, wie die Gutmenschen-Nachbarin ihre Tochter dazu anweist, das aussortierte Spielzeug ins Waisenhaus zu bringen. Dabei hätte es im Nebenhaus mit ihr ein Mädchen gegeben, dem man ebenfalls Spielzeug hätte schenken können. Allerdings war sie halt damals schon einigermaßen verhaltensauffällig und somit nicht mehr gut genug für diesen Gnadenakt. Selbst jener Lothar, der sich zunächst als ihr Retter gebärdet, erweist sich als böser Wolf im Pelz eines biederen Kulturbeamten. Denn er verstrickt sie letztlich nur in eine Abhängigkeitsbeziehung, die er auf ekelhafteste Weise missbraucht, um dann blindwütig zuzuschlagen, als sie seine Erwartungen nicht mehr erfüllt.

Dass weibliche Obdachlose überdurchschnittlich oft sexuelle Gewalt erleben und meist schon eine entsprechende Missbrauchsbiografie hinter sich haben, ist zwar bekannt. Doch es ist zweifelsohne eine der großen Stärken dieses Stückes, dass dieser Aspekt sehr genau ausgeleuchtet wird. Berührend auch, wie sie mal lautstark ausrastend, mal geradezu kokett selbstironisch um ihre Würde und Souveränität ringt, Kontakt sucht, den Schmäh rennen lässt, sodass man immer wieder lauthals drauflos lachen muss. Intendant Johannes Reitmeier hat "Die da!" als österreichische Erstaufführung für das K2 inszeniert und setzt in seiner Regie ganz auf unmittelbares Spiel und die Interaktion mit dem Publikum. Und Lisa Hörtnagl hat sich diese Figur in einer Weise einverleibt, dass man hinterher gar nicht mehr anders kann, als aufzuspringen und lauthals zu jubeln über diese großartige Schauspielleistung. Unbedingt hingehen!

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Was sie zu erzählen hat, das lässt niemanden kalt: Lisa Hörtnagl als namenlose Sandlerin im Stück „Die da!“. | Foto: TLT
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