ROTKLEE. Märchen und Geschichten für Erwachsene, Kinder und Kind gebliebene - Teil 75

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"Wenn sich die Oberlippe in Falten legt, dann ist es Zeit für den Rotklee" lautete eine der Weisheiten, die ich aus meiner Kräuterausbildung mitnahm. Ein Blütenauszug in Mandelöl soll Faltentiefe verringern. Hilfreich soll er auch wirken, wenn der weibliche Östrogenspiegel um das 40. Lebensjahr zu sinken beginnt, wenn Hitzewallungen und andere Wechselbeschwerden einher kommen. Die roten Blütenköpfchen sind überdies ein leckerer Hingucker auf dem Topfenbrot. Seine Magie aber, liebe ich besonders. Es heißt: „Wenn man durch das kleine Fensterchen schaut, dass sich zwischen den kleinen weißen Dreiecken auftut, die auf die drei Blätter gezeichnet sind, dann kann man in den Himmel sehn…“

Um Jugend und Vergänglichkeit geht es auch in meinem heutigen Märchen. Allerdings wollten diesmal auch so ganz und gar nicht märchenhafte Themen wie Patentierung von Pflanzen und Tieren, industrielle Produktion von Lebensmitteln und Ausverkauf von Farmland mit hinein, über die ich in der letzten Zeit ständig gestolpert bin!

Rotklee

"Mein Lieber Herr Liehmann, es ist wirklich ein Jammer eine Korife wie sie zu verlieren! Aber sie haben sich den Ruhestand definitiv verdient!" schloss der Kanzler die Verabschiedung und entließ Volker in das von ihm so gefürchtete Vakuum der Pension. "Es tut weh", sagte seine innere Stimme. "Und es ist kalt!" meldete sich auch seine Seele zu Wort, von der er die letzten 40 Jahre kein Sterbenswörtchen mehr gehört hatte.

Volker Liehmann war ein Erfolgsmensch. Jeder kannte ihn, aber nur wenige konnten ihm das Wasser reichen. Der rationelle Denker mit der "Rede-Ausnahmebegabung", war in seiner Zeit als Minister jener Mensch gewesen, dem es gelungen war, seinem Steckenpferd Wirtschaft und Industrie die Macht zuzuspielen - ohne dabei selbst die Fäden aus der Hand zu geben.

Das Ergebnis war bahnbrechend. Nach und nach wurde das ganze Land ausverkauft - zumindest das der Landwirte, der kleinen Grobbler, wie er sie insgeheim nannte. Er - Volker Liehmann - hatte nicht geruht, bis auch das letzte Hektar in den Besitz der Großkonzerne übergegangen war. Die Bauern hatten zwar lang und stur dagegen angekämpft. Übriggeblieben war keiner von ihnen.

Zuerst erwarben Großkonzerne Patente auf Pflanzen und Tiere. Dann konnten endlich auch die Lebensmittel künstlich und billig in Fabriken produziert werden. Und das wiederum brachte den "Puppenspielern", wie er sich und seine Freunde gerne nannte, die allesamt gern hinter dem Vorhang agierten, noch mehr Macht und Geld ein. "Wie kurzsichtig und manipulierbar die Menschen doch sind" lachte er sich beinah tagtäglich ins Fäustchen. "Und ich, ich hab sie alle in der Hand!"

Allerdings hatte auch diese "Medaille" eine Kehrseite. Die massive Ausbeutung hatte die Umwelt unwiederbringlich zerstört. So war die Ozonschicht durchlöchert wie ein Emmentaler Käse. Das Wasser musste chemisch aufbereitet werden, um es so halbwegs genießbar zu machen. Die Luft war ohne Filter kaum zu ertragen. Pflanzen und Tiere waren auf wenige Arten reduziert worden. Was einst grün und üppig war, war jetzt zubetoniert. Allerdings betraf das Minister Liehmann nicht wirklich. Schließlich arbeiteten und wohnten Regierungsmitglieder und Tonangeber in Gebäuden mit speziellen Glaskuppeln in denen sich guter, filtrierter Sauerstoff befand. Auch die Nahrung unterschied sich deutlich von der der normalen Bevölkerung.

"Warum plagen mich heute ständig diese eigenartigen Gedanken?" fragte sich Volker während er an einem der letzten nocht existierenden Seen saß, der natürlich auch ihm gehörte. "Schlechtes Gewissen ist etwas für Muttersöhnchen und Schwache - das kann es bei mir wohl nicht sein!" Während er noch den Kopf kräftig schüttelte, wuchs neben ihm plötzlich ein mächtiger Baum aus dem Boden. Gerade so einer, wie er sie alle zu Beginn seiner Karriere hatte fällen lassen. Da fuhr ein kräftiger Windhauch durch die Zweige der knorrigen alten Weide, der viele Stimmen mit sich trug, die alle zu ihm zu sprechen schienen: "Du erkennst mich doch, alter Mann?" drang es säuselnd an sein Ohr. Vor seinen Augen tauchten Bilder aus seiner Kindheit auf.

Black Jack, wie er weithin genannt wurde, war einst ein grundehrlicher Bauernsohn gewesen. Er liebte Tiere, Menschen und die Natur von ganzem Herzen. Doch irgendwann war einem Lehrer seine große Redebegabung, seine einmalige Gabe sich Fakten zu merken und sich perfekt auszudrücken, aufgefallen. Von da an änderte sich sein Leben grundlegend. Er kam in viele Schulen, fühlte sich zunächst eingesperrt hinter den hohen Klostermauern. Doch irgendwann war das grüne, pochende in seiner Seele erstickt und Volker begann sich zu dem gnadenlosen Strategen zu entwickeln, als der er im ganzen Land berühmt wurde.

Von da an schien ihm alles zu gelingen. Wohin er auch kam, überall schafte er es wie kein zweiter, selbst den größten Zweifler für seine Sache zu begeistern und alle Bedenken - egal wie angebracht diese waren, zu zerstreuen.

"So viele Gaben bekommt niemand umsonst!" säuselte die Weide weiter. "Reden - Überzeugen - Kalkulieren und Argumentieren. All das hast du mitbekommen, um Natur und Lebewesen auf diesem Planeten zu schützen. Aber du hast alle Warnungen überhört, deine Gaben schließlich gegen jene gerichtet, die du eigentlich damit hättest schützen sollen! Aber einmal ist Zahltag und der ist niemals bequem, dort oben beim Universum!"

"Treibt mich die Pension jetzt schon in den Wahnsinn?" Zähneklappernd rieb er sich die Augen, denn der Baum, der eben noch zu ihm gesprochen hatte, war spurlos verschwunden.

Angestrengt spähte er zum anderen Seeufer hinüber. Da entfuhr ihm ein spitzer Schrei: "Marie!"
Die Frau, die dort drüben altmodische Frühlingsblumen pflückte und zu einem kindischen kleinen Kranz wand, sah aus wie seinen verstorbene Ehefrau.

Marie war die bildhübsche Tochter eines einflussreichen Gönners, die er aus strategischen Gründen geheiratet hatte. Sie musste ihn wohl sehr geliebt haben, trotzdem begann er auch mit ihr bald ein grausames Spiel der Macht zu spielen. Denn es war zu einfach, die ein oder andere Geliebte durch seine perfekte Redegabe als Sekretärin in einem perfekt inszenierten Doppelleben verschwinden zu lassen. Marie war an Krebs gestorben... "Ob das alles so gekommen wäre, wenn ich ihr wirkliche Zuneigung geschenkt hätte?" Doch auch sie verschwand im aufsteigenden Nebel, der den Abend ankündigte.

Gedankenverloren pflückte er eine rötliche Blume, und starrte auf das weiße Dreieck, dass sich in den drei Kleeblättern abzeichnete.

"Sieh nur durch das kleine Fensterchen das der Rotklee in der Mitte seiner drei Blätter bildet. Es ist das Fenster zum Himmel!"

Volker schrak zusammen. Neben ihm hatte sich eine Gestalt kess im Gras niedergelassen, die der Jugend aus "Der Bauer als Millionär" verdächtig ähnlich sah. "Jetzt hast du mich erkannt, Bauernjunge! Gib's zu!" "Verschwinde Geist, oder was immer du bist!" Ich bin ein alter Mann. Lass mich in Ruhe!" "Ha, jetzt auf einmal! Mir war, als hättest du dich eben noch gesträubt, von mir Abschied zu nehmen, mir deiner Jugend! Aber keine Angst, wie im Märchen, werde auch ich nicht sofort von dir gehen. Denn irgendwo in dir, so wurde mir gesagt, soll es noch einen Flecken geben, der gut ist, der nicht - wie das Land - von dir ausverkauft worden ist.

Sollte es dir gelingen, ihn selbst in dir noch in dieser Nacht wieder zu finden und auf deinen Seelenweg zurückzukehren, dann sollst du noch eine Chance bekommen. Dann soll so viel Jugend zu dir zurückkehren, wie du brauchst, um die Geschicke der Natur, ihre Reinheit und Artenvielfalt zu Schützen und auf lange Sicht zu erhalten. Ist dein Seelenauftrag jedoch so von Falschheit Geiz und Hochmut verschüttet, dass er nicht mehr zu finden ist, so sollst du schon morgen als alter Greis einem einsamen Ende entgegensiechen!"

Mit diesen Worten drückte er Volker das Kleeblatt in die Hand und ließ ihn noch einmal durch das Fenster zum Himmel blicken. Dabei sog es seinen Geist, seine Seele in einen wirren Wirbel aus Gefühlen, Taten und Begebenheiten aus seinem Leben, die wie ein Film vor ihm abliefen. Sie taten ihm weh - hart und wild, sodass sein alter Körper schier unter der schweren Last, die sich auf Herz und Schultern anhäufte, zusammenzubrechen drohte.

Da begann der Alte laut zu schluchzen, fiel auf die Knie und rief: "Was hab ich bloß getan! Alles würde ich geben - Reichtum, Macht und alle meine Gaben - wenn ich Getanes noch einmal ungeschehen machen könnte!"

Als der Morgen anbrach, lag Volker Liehmann völlig verdreht, mit geschwollenen Lidern und schmerzendem Kopf auf dem neuen Boxspringbett in seiner dauerhaft gemieteten Hotelsuite. Als er sich langsam aufrappelte und in den Spiegel sah, fuhr er erschrocken zusammen. Was ihm entgegenlachte, war ein energiegeladener Endvierziger!

"Das war alles nur ein Traum!" sagte er nachdenklich zu sich selber. Dabei fiel sein Blick auf das Rotkleeblatt, das vor ihm auf dem Boden lag und als er es aufhob um durch das kleine Dreieck in den Himmel zu schauen, sang irgendwer im Radio die Hymne der Jugend: "Brüderlein Fein..."

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