"Servitengasse 1938"
Am Alsergrund gibt es 462 Schlüssel zur Erinnerung
Seit nunmehr 20 Jahren erinnert der Verein Servitengasse 1938 an die jüdische Bevölkerung im Neunten.
WIEN/ALSERGRUND. Um die Jahrhundertwende war der Alsergrund nach der Leopoldstadt der Bezirk mit dem höchsten Anteil an jüdischen Bewohnern. Viele von ihnen lebten in der Servitengasse, bis sie ab dem Jahr 1938 vertrieben wurden. Doch sie wurden nicht vergessen: Heute leistet der Verein "Servitengasse 1938" Erinnerungsarbeit für die ehemaligen jüdischen Bewohner des Grätzls.
2003 fand sich dazu eine Gruppe von Privatpersonen zusammen, die sich für ein Denkmal für die ehemaligen jüdischen Bewohner des Hauses in der Servitengasse 6 einsetzte. Nach der Enthüllung des Denkmals im Jahr 2005 gründete die bis dahin lose organisierte Gruppe rund um den Mitinitiator Peter Koppe einen Verein.
Seit damals wurden weitere Denkmäler enthüllt, ein Buch geschrieben, ein Film gedreht und eine Datenbank angelegt. Nach dem Tod von Koppe im Jahr 2020 übernahm die Historikerin Barbara Sauer die Funktion der Obfrau. Der Verein führt das Jahr 1938 in seinem Namen, da im Zuge des "Anschlusses" Österreichs an das Deutsche Reich sehr viele Juden aus ihren Häusern vertrieben wurden – so auch in der Servitengasse.
Spaziergänge durchs Grätzl
Hinter den Denkmälern und Büchern steckt viel dokumentarische Arbeit. Gespräche mit Zeitzeugen und -zeuginnen bzw. mit Angehörigen sowie umfassende Recherchen in Archiven gehören zur alltäglichen Arbeit des Vereins. Während die Archivarbeit das Grundgerüst der Aufarbeitung darstellt, bilden die Interviews das Stimmungsbild des jüdischen Lebens rund um das Jahr 1938 ab.
Bekannt wurde vor allem das Denkmal an der Ecke Servitengasse/Grünentorgasse: Die "Schlüssel gegen das Vergessen" nach einem Entwurf der Künstlerin Julia Schulz zeigen in einer Glasvitrine 462 Schlüssel mit Namensschildern von jüdischen Bewohnern und Bewohnerinnen. Mit der Wahl des Denkmals hat man laut Sauer eine Punktlandung hingelegt: "Der Schlüssel als Alltagsgegenstand verbindet die unzähligen Einzelschicksale. Zum Beispiel sperrten Geschäftsleute ihre Betriebe ein letztes Mal mit ihren Schlüsseln zu, ehe sie diese der Gestapo übergeben mussten."
Neue, interaktive Karte kommt
Zu Ende erzählt ist die Geschichte noch lange nicht. Regelmäßig kommen Anfragen, die neue Perspektiven in der Erforschung des jüdischen Lebens um das Jahr 1938 eröffnen. "Eine Gruppe von Studierenden aus Kanada hat eine interaktive Karte mit den Namen der Personen, die damals im Servitenviertel gelebt haben, kreiert", so Sauer.
Während des Alsergrunder Kultursommers finden zudem Spaziergänge durch die Servitengasse statt, bei denen verschiedene Aspekte des jüdischen Lebens durchleuchtet werden. Im Zuge der Neugestaltung des Servitenviertels soll heuer die interaktive Karte der kanadischen University of Victoria präsentiert werden.
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