Moments and Thoughts - Aus meinem Rosenalbum "Midsummersnow" - Ein wenig Duft bleibt immer an den Händen derer haften, die Rosen schenken. ❤️ Aus Asien
Habt Ihr 1 Minute Zeit? Ja? Fein da hätte ich eine kleine Geschichte für Euch!
Von Rainer Maria Rilke (1875 – 1926), der wohl zu den bedeutendsten deutschsprachigen Lyrikern der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu rechnen ist, wird während seines Aufenthaltes in Paris folgende Geschichte erzählt:
Die Bettlerin und die Rose
Beim Spaziergang mit einer jungen Französin kam er regelmäßig an einer Stelle vorbei, an der eine Bettlerin saß, die um Geld bettelte. Ohne zu irgendeinem Geber je aufzusehen, ohne ein anderes Zeichen des Bittens oder Dankens zu äussern als nur immer die Hand auszustrecken, saß die Frau immer an der gleichen Stelle. Rilke gab nie etwas, seine Begleiterin jedoch häufig ein Geldstück. Eines Tages fragte die Französin verwundert nach dem Grund, warum er nichts gebe, und Rilke gab ihr zur Antwort: "Wir müssen ihrem Herzen schenken, nicht ihrer Hand."
Einige Tage später brachte Rilke eine eben aufgeblühte weiße Rose mit, legte sie in die offene, abgezehrte Hand der Bettlerin und wollte weitergehen.
Da geschah das Unerwartete: Die Bettlerin blickte auf, sah den Geber, erhob sich mühsam, tastete nach der Hand des fremden Mannes, küsste sie und ging mit der Rose davon.
Eine Woche lang war die Bettlerin verschwunden, der Platz, an dem sie vorher gebettelt hatte, blieb leer. Vergeblich suchte Rilkes Begleiterin eine Antwort darauf, wer wohl jetzt der Alten ein Almosen gebe.
Nach acht Tagen war plötzlich die Bettlerin wieder an gewohnter Stelle. Sie war stumm wie früher, wiederum nur ihre Bedürftigkeit zeigend durch die ausgestreckte Hand. "Aber wovon hat sie denn all die Tage, da sie nichts erhielt, nur gelebt?", frage die Französin. Rilke antwortete: "Von der Rose . . ."
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