Haller Gassenspiele
Demontage des Spießbürgers

- In diesem Stück fließt alles zusammen: bürgerlicher Ehrgeiz mit fürstlichem Begehren, anspruchsvolle Sprache in der Demaskierung des Spießbürgertums.
- Foto: Haller Gassenspiele
- hochgeladen von Michael Kendlbacher
Geistreich, bissig & humorvoll: „Bürger Schippel” bei den Haller Gassenspielen
Auch nach der Premiere, bei der dritten Aufführung, blieb der Wettergott auf der Seite der Haller Gassenspiele im Hof der Burg Hasegg. „Open-air“ und die mittelalterlichen Mauern steigerten naturgemäß die Spiellust des Ensembles und die Freude im Publikum. Nach dem Tod des Bräutigams Naumann ist Thekla, die Schwester des Goldschmiedes Hicketier, wieder frei und generiert sogleich vielfache Männerwünsche. Durch den Todesfall kommt dem bürgerlichen Trio Kindler, Hicketier Krey der vierte Mann ihres Chorquartetts abhanden. Die Zeit drängt ein Gesangswettbewerb steht ins Haus, und so wird widerwillig Paul Schippel, ein Unehelicher & Prolet, aber mit strahlender Stimme ausgestattet, engagiert. In all den Auseinandersetzungen, Vorurteilen und Snobismen wird deutlich, wie verlogen das Bürgertum des Wilhelminischen Zeitalters war. Aber die Botschaft des Autors erreicht uns auch heute noch. Sternheim Carl ein politischer Dichter? Zweifellos, aber nicht mit der Moralkeule, sondern mit einer exzellenten, zwar heute antiquiert wirkenden Sprache, die einen fordert, aber auch erheitert und nachdenklich macht. Wolfgang Klingler als Hicketier vereint alle Nuancen des Tobenden, Herrschsüchtigen mit jenen des Trauernden und Resignierenden. Maximilian Kindler gelingt trefflich der behäbige und beredte Druckereibesitzer Wolke, Wolfgang Viertl kann ausdrucksstark die Figur des Beamten Krey umsetzen, Marcus Freiler ist jeden Zoll glaubwürdig als romantischer und verwöhnter junger Fürst, Miriam Brauns wirkt edel und beherrscht als Hicketiers Frau, Christina Matuella verführt als Thekla die Männer im Stück und die Menschen in den Rängen mit facettenreicher Komödiantik und erotischem Charme. Peter Holzer (mit echtem Proletarierschnauzbart) kann die Figur des Paul Schippel, der nach und nach vom Spießerhasser zum Bürger mutiert, herrlich frech authentisch umsetzen. Alexander Sackl, Spielleiter, musikalischer Chef und einfühlsamer Akkordeonist und Regieassistentin Lisa Koller sowie Christina Nesslmann (Saxophon) begleiten behutsam das Geschehen auf der originellen Blasbalgbühne von Martin Posch. Berta Posch sorgte für die unaufgeregten, exzellenten Kostüme.
In diesem Stück fließt alles zusammen: bürgerlicher Ehrgeiz mit fürstlichem Begehren, anspruchsvolle Sprache in der Demaskierung des Spießbürgertums, lockerer Umgang mit erotischen Andeutungen – kein Wunder, dass der mehrfach liierte Dichter & Jude Sternheim vor den Nazis Reißaus nahm und leider im besetzten Brüssel 1942 starb.
Insgesamt: eine großartige Aufführung in einem tollen Ambiente mit spürbarer Spielfreude ein „Muss“ für alle Theaterfreunde.
von Peter Teyml





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