Erinnerung an eine Wahrsagerlegende
Der Naunau ordinierte im Jennersdorfer Raffel
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es kaum jemand im Lande und über dessen Grenze hinaus, der den Wahrsager, Planetenleser und Kartenleger "Naunau (1907 -1984)" nicht kannte. Er hieß mit richtigem Namen Josef Weber, stammte aus Raxbergen, war eines von 12 Geschwistern und bewirtschaftete dort wie viele andere, einen kleinen Bauernhof mit Obst, Geflügel und wenigen Großvieheinheiten. Einige Brüder und Schwestern wanderten nach Amerika aus.
Im WW2 geriet er in Gefangenschaft und lernte dort von einem Mitgefangenen das Handwerk des Kartenlesens. Von Josef Weber selbst gezeichnete Karten wurden von Klienten aus einem gemischten Paket gezogen und aufgelegt. Darinnen stand die Vergangenheit und die Zukunft des Fragenden.
Glücklich wieder heimgekehrt, wandte er, jetzt "Naunau (nasal ausgesprochen)" genannt, diese erlernte Fähigkeit an. Zunächst in Jennersdorf, dann auf der Bahnfahrt nach Wien und Graz, in Wiener und Grazer Gasthäusern und wieder auf der Heimfahrt. Ein kleines Trinkgeld gab es allemal. Der Name "Naunau" kam vom Dialog mit den Kunden, auf deren Fragen er mit "naunau, schau ma holt eine in die Koaddn" die Antwort einleitete.
Die Karten zeigten etwa den "Geier", die "Herzliebe", die Schlange, den "Rauchfangkehrer, die "Meerjungfrau" oder den "König" und sie wurden entsprechend gedeutet.
Bei Einheimischen gelang die Wahrsagerei nicht unbedingt, doch fremde, zu ihm angereiste Personen waren doch recht erstaunt, wenn er ihnen unbekannterweise Begebenheiten aus ihrem Leben aus den Karten las. Viel gefragte Partnerschaftsaussichten und Kinderwunscherfüllungen standen in den Blättern.
Die damals recht bekannte Ö3 Sprecherin Brigitte Xander konsultierte ihn und war entzückt, als er ihr prophezeite, dass "der Geier über ihr steht und sich auf ein sich duckendes Piperl stürzt", denn es stünde eine Schwangerschaft und baldige Ehe ins Haus, was sich umgehend bewahrheitete.
Todesvorhersagen gab er nicht, und wenn, nur in selbstironischer Form: "nach meinen Karten müsstest du schon gestorben sein..."
Josef Weber blieb Raxbergler, übergab seinen Hof und wohnte später in Jennersdorf. Gerne erzählte er von seinen Erfindungen, wie dem fliegenden Fahrrad und dem ewigen Christbaum. Wenn er im russischen Gefangenschaftslager eine geeignete Fahrradkette bekommen hätte, wäre er über den Stacheldrahtzaun hinausgeflogen, scherzte er.
Josef war auch ein begeisterter Musikfreund und komponierte "das Kraftfahrerlied", das ihm ein Musiklehrer in Noten umsetzte und von dem es vielleicht noch eine Schallplatte gibt. Auf einer Reise nach Florida, es muss dort ein Burgenländer- oder Verwandtschaftstreffen gewesen sein, tanzte er, wohl aus Flugangst, im Mittelgang des Jumbojets eine Polka, was größte Heiterkeit auslöste.
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