Flott unterwegs – Start in Grafenegg 2012
-Eine kleine Gelsenkohorte ist schon da und leckt sich genüsslich die Stacheln. Nicht bei mir. Mich bedeckt eine dicke Schicht eines Amazonas-getesteten Insekten-Schutz -Mittels. Das riecht natürlich auch die menschliche Umgebung. Freundlich lächelnd, rücken einige um mich auf leere Plätze ab. Es ist ein schöner Abend. Der Musik-Sommer 2012 im Grafenegg hat begonnen.
Die Sommernachts-Gala hat musikalisch alles zu bieten, was sich das kulturbegeisterte Publikum wünscht. Es ist kein Programm der Beliebigkeit sondern eine Leistungsschau: seht her, was wir alles haben und können.
Die Niederösterreichischen Tonkünstler gehören zu den besten, was Österreich an Orchestern zu bieten hat. Dank dem Chef-Dirigenten Andres Orozco-Estrada, der dem Klangkörper seinen musikalischen Stempel – Präzision und Leichtigkeit – aufgedrückt hat. Im positiven Sinne des Wortes. Sein Habitus erinnert ein wenig an Rolando Villazón. Orozco-Estrada ist ein viriler Sonnenschein unter den Dirigenten, der seine Freude an der Musik an das Orchester und das Publikum mit der ihm typischen Leidenschaft zu übertragen vermag.
Der Wolkenturm, das Glanzstück von Grafenegg , ist mit wohlgesonnenen Gästen prall gefüllt. Durch frühere Erfahrungen geeicht, auch mit widrigen Wetter-Kapriolen umzugehen. Aber nichts passiert, kein Sturm, kein Regen, kein Gewitter. Die gewohnt charmant durch den Abend führende Babara Rett gibt die Parole aus: „Heute gibt es keine langen Reden, kein Zaudern“. Der Dirigent und sein Orchester spielen bei der Sommernachts-Gala gegen den angesagten Wettersturz an.
Der kolumbianische Maestro gibt ordentlich Gas, was bei seinem Temperament nicht schwer fällt. Die Prélude von „Carmen“ habe ich noch nicht so schnell gespielt, wie hier, gehört.
Was folgt ist ein bunter Reigen von französischen, italienischen, russischen und amerikanischen Werken von Komponisten aus der ganzen Welt, die in Grafenegg Station machen.
Der von mir sehr verehrte Tenor Michael Schade, der wohl seine beste Zeit als Sänger hinter sich hat, agiert auf der Bühne mit seinem lustigen Schnurrbart, den er sich für eine kommende Rolle zugelegt hat. Als Gigolo aus den 30er-Jahren könnte er durchaus auftreten. Er ist der unbestrittene Liebling der Massen und genießt sichtlich, als Wiederholungstäter in Grafenegg zu sein. Sein Charme ist umwerfend. Er singt die Ballade des „Kleinzack“ so hingebungsvoll, dass man alles vergisst, was man bisher gehört hatte. Als wahre „Entdeckung“ des Abends ist die Mezzosopranistin Joyce DiDonato zu sehen und natürlich zu hören. Sie ist beides: ein Augen- und ein Ohrenschmaus. In ihrer Vita findet sich kein österreichisches Auftreten. Also zum ersten Mal in Grafenegg. Dem künstlerischen Leiter des Festivals, Rudolf Buchbinder, sei gedankt, dass er die Grammy 2012-Gewinnerin für diesen Abend gewinnen konnte. Ihre Interpretation vom „Non piu masta“ aus Rossinis „La Cenerentola“ ist so berührend, dass nach den Worten von Barbara Rett „heute Nacht die Nachtigall neidig sein könnte und verstummt“.
Andres Orozco-Estrada bringt in das Programm einen Tango von Carlos Gardel. Aus der letzten Reihe im Orchester, lässt der wunderbare Andrzej Dobrek, nur kurz seine Virtuosität am Akkordeon aufblitzen. Als Barbara Rett seinen Namen ankündigt, erklingt frenetischer Beifall und das Publikum ist in freudiger Erwartung, den besten österreichischen Akkordeonist als eine Überraschung heute Abend zu erleben. Ein Soli des einzigartigen Künstlers hat es leider nicht gegeben. Er hätte es wohl verdient, im Wolkenturm ganz vorne aufzuspielen. Eine vertane Chance diesen Abend einzigartig zu machen.
Das Duett „Summertime“ von DiDonato mit Schade aus Gershwins „Porgy and Bess“ entlässt das Publikum freudig gestimmt und leitet ein gewaltiges Feuerwerk ein, dessen herunterfallende Reste für einige Irritierung bei den elegant gekleideten Damen gesorgt haben.
Die Gelsen haben sich bei mir zurückgehalten, das Gewitter kam erst beim Nachhause fahren. Was will man mehr? Ein guter Tag mit viel Vorfreude auf die kommenden musikalischen Leckerbissen in Grafenegg 2012.
Zum Beispiel:
Sa, 14. Juli 2012 20.00 Uhr
INTERPRETEN
Tonkünstler-Orchester Niederösterreich, Orchester
Gunter Benedikt, Pauke
Claus Peter Flor, Dirigent
PROGRAMM
Carl Maria von Weber
Ouvertüre zur Oper «Der Freischütz»
Siegfried Matthus
«Der Wald» Konzert für Pauken und Orchester
--- Pause ---
Richard Strauss
«Eine Alpensinfonie» op. 64
Reinhard Hübl
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