Italienische Assoziationen: Die Pizza ist aufgetragen.
Grafenegg darf angesichts des Programms nicht Italien werden, würde ein
rechter Recke lauthals auf Facebook kundtun. Doch, doch, musikalisch
schon. Also, als Vorspeise wird eine kräftige Minestrone à la
Tschaikowski aufgetragen. Danach eine Pizza Diabolo, garniert mit
Paprika und Chili, gebacken in Sizilien unter Anleitung von Nino Rota.
Und zum Schluss ein etwas zu geil geratenes Tiramisu. Die Rührrolle
übernehmen das Tonkünstler Orchester Niederösterreich unter Anleitung
des heutigen Chefkochs Jun Märkl.
Die Mischung ist gelungen, wenn auch die Kräfte nach der Hauptspeise nachlassen. "Bella Italia" nennt sich dieses Gastmahl. Tschaikowski treibt sich wie auch die anderen Komponisten dieses Abends in Italien herum. Er, der schwere, dumpfe, man könnte fast sagen depressive Musik komponierte, ist angesteckt von südländischem Frohsinn, von immerwährender Heiterkeit, von
es-ist-alles-nicht-so-wichtig. Er drückt es im Capriccio italien op. 45
aus. "Zweifellos eine der berühmtesten Musik-Postkarten der Geschichte"
schreibt Alexander Moore im Programmheft. Die persönlichen Lebenskrisen
trieben Tschaikowski an, auf Reisen zu gehen - vielleicht den Jakobsweg
des 19. Jahrhunderts. Das Werk ist ausgelassen und freudvoll,
Gassenhauer lösen volkstümliche Weisen ab. Ein Auf und Ab der Gefühle.
Die Tonkünstler können das nachvollziehen. Ein vergnüglicher Ausflug.
Eine Sommerwiese, auf der zur unrechten Zeit gegossen wird, und in der
daneben liegenden Backofen-Taverne eine feurige Pizza im Holzofen: "La
Strada" - das Lied der Straße - wurde filmmusikalisch von Nino Rota ohne
weiblichen Beistand gezeugt. Obwohl - er kennt sich aus, was so zwischen
Weibchen und Männchen abläuft. Speziell dann, wenn Untreue, Verrat und
Mord im Spiel ist. Der großartige Federico Fellini schuf einen Film, in
dem die Entgleisungen der Gesellschaft innewohnen. Als er in Wien war,
machte er mich nach der Pressekonferenz an: "Du bist ein schöner Junge!"
Und er vernaschte mich mit seinem Blicken. Klar, damals war ich noch
knuspriges Subjekt. Aber das ist eine andere Geschichte. Also, die Story
kommt in Fahrt, als Zampanò (© Fellini) - ein unterbelichteter
Schausteller - seine geknechtete, völlig unbeachtete Assistentin
Gelsomina an ein anderes, verwirrtes Großmaul zu verlieren droht. Dieser
ist jung, liebesbedürftig, und die beiden können miteinander. Es kommt,
wie es kommen muss: Streit, Totschlag, Verzweiflung. Zampanò hat dem
Eindringling eine Abreibung verpasst und erfährt erst später, dass er
zum Mörder geworden ist. Die Tränen, die er am Strand vergießt, kommen
spät, zu spät. In der Filmfassung spielt Anthony Quinn den Zampanò,
Giulietta Masina die Gelsomina und Richard Basehart den jungen Il
Matto. Und Nino Rota komponierte die rassige Filmmusik dazu.
Diese Musik schmachtet unter den Tonkünstlern dahin, mal aufbegehrend,
mal Wut ablassend, dann sanft in der Trauer. Die Bläser und Schlagzeuger
sind tonangebend, erzeugen einen sizilianischen Sound, der von
Liebesleid über Manegen-Zauber zwischen Zirkus Roncalli und Cirque du
Soleil und Hingabe bis zum bitteren Ende einer ungeheuerlichen Tragödie
widerspiegelt. Maestro Märkl lässt den Emotionen freien Lauf, und das
Orchester nützt den Freiraum. Es ist das Lied von der Straße, zwischen
Hochzeitsmarsch, brutaler Rauferei und Zusammenbruch. Konzertmeister
Vahid Khadem-Missagh lässt die Tränen mit einem bewegenden Geigensolo
ausklingen. Und weil die Rhythmik des Fellini/Rota-Epos beim Publikum
Gefallen findet, wird noch eine Rumba aus La Strada als Zugabe
nachgeschoben.
Bei Felix Mendelssohn Bartholdys "Italienischer" zeigen
sich die Tonkünstler schon ein wenig verausgabt. Das Tiramisu will nicht
so richtig die Speiseröhre hinunterrutschen. In der Begeisterung des
deutschen Komponisten für Italien zeigt sich die Stimmungslage des
Werkes. Allegro vivace - temporeich der erste Satz, Andante con moto -
verhalten, gemächlich der zweite, Co moto moderato - steigender der
dritte und Saltarello. Presto - aufbrausend, mächtig der vierte. Im
vergangenen Jahr kam unter dem damaligen Chefdirigenten Andres
Orozco-Estrada das Opus schon einmal zur Aufführung. Damals klang es
frischer, nuancierter, nicht ganz so bieder.
Jun Märkl leitet die Tonkünstler solide, er zeigt nicht gerade Mut zu einer eigenen Deutung. Er bereitet dem Publikum einen vergnüglichen Abend. Was will man mehr.
Next: Nach Italien ist Spanien an der Reihe. Am 4.7. gibt es das
Kulinarium Viva España.
Infos und Tickets:
www.grafenegg.com
Reinhard Hübl
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