Dürfen Politiker lügen?
Als mich kürzlich ein Bürger bei einem Wahlkampfstand fragte: "Dürfen Politiker eigentlich lügen?", musste ich leise lachen. Viele Menschen nehmen es schon als selbstverständlich hin, dass Politiker lügen - da stellt sich die Frage nach dem "dürfen die das überhaupt?" eigentlich nicht mehr. Dass wir uns schon meilenweit darüber hinaus befinden, uns darüber Gedanken zu machen, ist ein trauriges Zeichen dafür, dass Lügen in der Politik einfach normal geworden sind und hingenommen werden.
Merkwürdigerweise wird aber trotz allem die Aufrichtigkeit von Politikern mitunter als ganz harte Währung gehandelt. Dabei sind gerade hier Unwahrheiten an der Tagesordnung. Wahlversprechen, von denen man weiß, das man sie nicht halten kann, sind nur das eine. Etwas verschweigen heißt noch nicht: lügen. Es sei denn, wenn eine Auskunft erwartet werden kann. Die Frage ist freilich, ob ein Mensch es überhaupt in ein öffentliches Amt schaffen kann, wenn er vorab alles offenlegt, so wie das heute gefordert wird, um dem Vorwurf zu entgehen, er habe etwas verschwiegen. Eine Offenlegung kann nämlich alles andere als karriereförderlich sein.
Nicht ohne Grund hat das Verschweigen, bestimmter Facetten der eigenen Vergangenheit, Sinn. Peinlich wird es allerdings dann, wenn der Betreffende sich als Moralapostel, gerade auf jene Vergangenheit anderer, eingeschossen hat..
Dem Politiker ist es von Verfassungs wegen noch nicht einmal generell verboten, vor dem Volk nicht die ganze Wahrheit zu sagen. Zwar gibt es, in der österreichischen Verfassung besonders ausführlich geregelt, eine Auskunftspflicht der Regierung. Nur der Zeuge vor Gericht (oder etwa vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss) muss die Wahrheit sagen. Ein Beschuldigter dagegen, das wird oft vergessen, muss gar nichts sagen oder kann munter lügen. Das tun natürlich auch Zeugen oft. Denn wem spielt nicht die Erinnerung mal einen Streich? Und wenn ein Minister oder Abgeordneter wie jetzt vor dem U-Ausschuss zur Hypo, nicht die volle Wahrheit sagt, dann geht es eher um Organisationsverschulden - für das "er" natürlich politisch haften muss.
Auch darüber hinaus ist die Lüge keineswegs schon seit den zehn Geboten geächtet. Dort heißt es schließlich: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider Deinen Nächsten. Das ist etwas anderes. Abgesehen davon: Ist man nicht mitunter zum Lügen geradezu gezwungen? Wenn ein Journalist sein Wort bricht und zugesicherte Vertraulichkeit nicht einhält, ist die Lüge desjenigen, der vertraulich etwas erzählt hatte, dann nicht eine Art Notwehr?
Und schließlich gibt es da auch den Kodex der politischen Korrektheit, der manchmal wichtiger ist als die Wahrheit. Kurt Waldheim etwa war ein beliebter Präsident, der sich durch eine beiläufige Aussage zu seiner Vergangenheit disqualifizierte, die zwar weitgehend der Wahrheit entsprach, allerdings nicht politisch korrekt war.
Zusammenfassend betrachtet: Ob ein Politiker lügen, Dinge verschweigen oder unehrlich sein "darf" oder sogar muss, kann man nicht pauschal beantworten. Es ist schon oft passiert, dass gute und erfolgreiche Politiker gezielt beseitigt wurden, weil sie sich in der Vergangenheit oder Gegenwart Fehler und Peinlichkeiten geleistet hatten, die aber nicht wirklich etwas mit ihrer Regierungskompetenz zu tun hatten und trotzdem als so wichtig eingestuft wurden, dass sie das Amt räumen mussten. Prominentes Beispiel wäre Bill Clinton mit der Lewinski-Affäre. Clinton wurde da offensichtlich erpresst, weil Leute ihn zu Fall bringen wollten und seine Angestellte bestochen haben, damit sie an die Öffentlichkeit geht. Warum hätte er da nicht lügen sollen? Hat die Wahrheit Amerika irgendwas gebracht, war Bush junior ein besserer Präsident als Clinton, weil er mit seiner Sekretärin kein Verhältnis hatte? Manche Dinge hält man einfach besser geheim, weil die Wahrheit in solchen Fällen niemandem hilft.
Das heißt aber nicht, dass die Lüge, sei sie noch so straflos und verständlich, ohne Folgen bleibt. Wer öffentlich überführt wird, die Unwahrheit gesagt zu haben, hat einen schweren Stand - wenn er überhaupt zu halten ist. Dabei wird der Vorwurf der Lüge geradezu inflationär gebraucht, so als gehöre das bei Politikern zum Beruf. Das ist der Grund dafür, warum man sie meist ungestraft Lügner nennen darf.
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