Weibliche Obdachlosigkeit: "Es kann jede treffen"

- hochgeladen von Johannes Gress
Heidi und Hedy leben seit mehreren Jahren im Wienerwald. Auf einem Rundgang erklären sie, warum insebesondere Frauen vom Sozialsystem benachteiligt werden.
MARIAHILF. Knapp 10.000 obdachlose Menschen leben derzeit nach offiziellen Angaben in Wien – die tatsächliche Zahl schätzt man weit höher ein. Das Leben ohne permanentes Dach über dem Kopf, an sich schon ein hartes, ist vor allem für Frauen mit besonderen He-rausforderungen verbunden. Im Rahmen einer "Supertramps"-Sondertour führten Hedy und Heidi 20 Zuhörerinnen und Zuhörer durch Mariahilf und sprachen über ihre Erfahrungen als obdachlose Frauen. Vom Staat im Stich gelassen, bleibt für sie am Ende nur die Enttäuschung und ein Zelt im Wald. Dabei kann man wohl mit Recht sagen, dass sowohl Hedy als auch Hedi ein Leben geführt haben, das als "normal" gelten kann.
Hedy, heute 59 Jahre, arbeitete lange als Selbstständige in der Markt- und Meinungsforschung und war in den 1990ern Klubchefin der Alternativen Grünen in der Josefstadt. Auch Heidi, 60 Jahre alt, arbeitete lange Zeit bei der Wirtschaftskammer in Wien. Beide schlitterten unverschuldet in die Arbeitslosigkeit, beide rutschten durchs soziale Sicherungsnetz und beide landeten ziemlich schnell und ziemlich unsanft auf der Straße. Die Message der beiden: "Es kann einfach jeden treffen – besonders Frauen."
Frauen haben’s schwerer
Der Weg ins gesellschaftliche Abseits sei für Frauen deutlich kürzer als für Männer, erklären die beiden. Zum einen verdienen sie immer noch deutlich weniger als Männer. Für Frauen ab 45 sei es so gut wie unmöglich, noch einmal ins Berufsleben einzusteigen. Zum anderen, weil man als Hausfrau eben immer abhängig vom Mann bzw. dessen Verdienst bleibe. Trotz Vollzeitjob hätten Frauen oft keinen Anspruch auf eine anständige Pension, da sie in kein Sozialversicherungssystem einzahlen. Obwohl diese Tatsachen schon seit Jahren bekannt seien, hätte sich an der Situation für Frauen nichts geändert, kritisiert Hedy. Auf einen Blumenstrauß am Muttertag könne man da gerne verzichten. "Es ist nichts geschehen, ich bin enttäuscht von diesem Land", so die nüchterne Analyse.
Und ganz im Gegenteil: "Ich habe den Eindruck, es wird härter." Einmal auf der Straße angekommen, bieten die Stadt Wien und private Organisationen zwar Notunterkünfte an, diese sind aber meist nicht nach Geschlechtern aufgeteilt. Die Tour macht vor "Ester" in der Esterházygasse Halt, einem Tageszentrum nur für obdachlose Frauen. Solche geschützten Räume sind wichtig, denn was es bedeute, sich als Frau mit Alkoholikern, Drogensüchtigen oder psychisch Labilen einen Notschlafplatz teilen zu müssen, sei unvorstellbar. Das gehe los bei Diebstählen und reiche bis hin zu sexuellen Übergriffen, so die beiden. Die Gefahren, denen Frauen auf der Straße ausgesetzt seien, würden jedoch zumeist ignoriert werden.
Ein Leben im Zelt
Sowohl Heidi als auch Hedy haben sich deshalb für ein Leben im Wienerwald entschieden. Einerseits sei es dort deutlich sicherer als im Park, andererseits schätze man die Privatsphäre. Weil sie damit zwar eigentlich gegen die Kampierverordnung verstoßen, leben beide versteckt. Dachse, Rehe, Schlangen – nach Jahren im Wald erkennen die beiden jegliche im Wienerwald heimische Tierart am bloßen Geräusch. Auch wenn beide davon abraten, ihr Leben als zu romantisch zu betrachten, schätzen sie die Ruhe in ihrem "Zuhause". Täglich nimmt sich Heidi eine Stunde Zeit, um ihre Tierchen zu füttern, kennt sogar deren Tagesabläufe.
Nach rund zwei Stunden Spaziergang ist man vom Startpunkt am Haus des Meeres gerade mal 700 Meter bis zum Loquaipark gekommen. Zahlreiche Fragen sprudelten nur so aus den Zuhörern heraus und wer Hedy kennt, der weiß: Wenn sie einmal zu reden beginnt, hört sie so schnell nicht mehr auf. Das Bittere an der ganzen Angelegenheit sei, dass es eben nicht der klischeemäßige Drogenabhängige sei, der am Ende auf der Straße landet, sondern ganz "normale" Leute. "Die haben gearbeitet hier, 30 oder 40 Jahre, Kinder großgezogen" – und am Ende stünden sie trotzdem vor dem Nichts.
Hintergrund:
Bei den "Supertramps" zeigen obdachlose Menschen "ihr Wien". An ausgewählten öffentlichen Plätzen verknüpfen sie ihre persönlichen Lebensgeschichten mit ihren Kenntnissen und Erfahrungen über Obdachlosigkeit. Infos und Anmeldung online unter www.supertramps.at
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