Peter Kruder im Interview: "Auflegen ist wie Schach spielen"
Vom Friseurlehrling zur DJ-Ikone: Neubauer Peter Kruder über Karriere-Anfänge und Inspirationssuche.
NEUBAU. Wer Elektro sagt, muss in Wien auch Peter Kruder sagen: Seit 24 Jahren feiert er – etwa als Hälfte von Kruder & Dorfmeister – als DJ, Produzent und Musiker Erfolge. Eines seiner letzten Projekte brachte ihn für eine Zusammenarbeit mit dem Schweizer Taschenlable QWSTION zusammen, die zum Launch des DJ Packs führte. In einer limitierten Auflage von 100 Stück, wartet der Rucksack mit Fächern für bis zu 40 Platten und einen Laptop auf – und mit einem exklusiven Hörgenuss auf Vinyl, komponiert von Kruder selbst.
Wir haben das Wiener DJ-Urgestein im QWSTION Flagship-Store in der Zieglergasse zum Interview getroffen. Bei einem Kaffee dort im Café Wolfgang gab er einen Einblick in sein Universum.
Was ist Ihre erste musikalische Erinnerung?
Meine früheste musikalische Erinnerung ist die Plattensammlung meiner Mutter. Sie ist Musikliebhaberin und ist nicht ganz unschuldig an meinem Werdegang. Sie hat viel südamerikanische Musik gehört — aus Brasilien aber auch italienische Musik. Meine erste eigene Platte war "Kung Fu Fighting" von Carl Douglas und ich erinnere mich, dass da etwas ausgelöst wurde. Das erste Mal, dass Musik mich wirklich berührt hat, als ich dachte, “jetzt ist alles anders” war, als ich Pink Floyds "Wish You Were Here” gehört habe. Ich war tief beeindruckt von diesen schwebenden Melodien. Die Platte beginnt mit einem F-Moll Akkord, der bestimmt fünf Minuten schwelgt und sich nichts verändert, außer dieser kleinen Synthesizer Figuren, die darüber schweben. Das war eine Erleuchtung. Dieser Moment hat mich geprägt und danach war nichts mehr beim Alten.
Sie habe als Friseur angefangen. Wie sind Sie zur Musik gekommen?
Ich habe Friseur gelernt, aber auch mit 15 meine erste Band gehabt. Zuerst habe ich Musik immer nebenbei gemacht. Nach meiner Ausbildung habe ich dann nur noch als Freelance-Friseur gearbeitet, und in kurzer Zeit genügend Geld mit Foto Shootings verdient. Ich hatte dadurch keinen Druck, dass ich von der Musik leben musste und konnte mir meine eigene Welt schaffen. Ich musste keine kommerzielle Rücksicht nehmen, hatte keinen Zwang. Nur ich und meine fünf Freunde, mit denen ich Musik machen wollte. Es war im Grunde ein fließender Übergang vom Freelance-Friseur zum Vollzeit-Musiker mit DJing und um die Welt reisen. Irgendwann konnte ich den Job als Friseur einfach auch nicht mehr machen, weil ich alles 100% machen will.
Sie arbeiten seit 1993 mit Richard Dorfmeister zusammen. Was ist das Erfolgsgeheimnis dieser langjährigen Zusammenarbeit?
Das Erfolgsgeheimnis ist, dass wir von Anfang an komplett autark waren. Wir waren in keiner Weise voneinander abhängig. Somit kamen wir immer wieder zusammen, weil wir etwas gemeinsam machen wollten. Mit jemanden so lange zusammen zu arbeiten ist es wie eine Ehe: es gibt verschiedene Phasen, die man durchlebt, wenn man zu viel unterwegs ist und dabei sehr unter Druck steht. Für die Gäste ist es eine Party, aber wir arbeiten. Wir müssen hinfliegen, uns vorbereiten und performen. Letztendlich ist es ein Job und es kommt auch immer wieder ein Moment, wo man sagt, jetzt will ich niemanden sehen, gar nichts machen, eine Auszeit nehmen. Dann ist es ein großer Vorteil, dass wir nicht voneinander abhängig sind. Ein Jahr lang macht dann jeder etwas Eigenes und anschließend kommen wir wieder zusammen. Gerade touren wir die halbe Welt, weil wir jetzt schon seit 25 Jahren zusammen hinter dem DJ Pult stehen. Letztens waren wir in Bologna, wo wir im ältesten Theater Italiens gespielt haben. Das war großartig.
Wie beeinflussen sich die verschiedenen Elemente Ihrer Arbeit - spielen, auflegen, produzieren - gegenseitig?
Jedes Element beeinflusst das andere, die ganze Zeit. Ich absorbiere die Welt 24 Stunden am Tag und denke ständig über Musik nach, das Auflegen, neue Techniken, mein Studio, Kompositionen, Sounds und die Bilder, die Musik in mir weckt - das ist meine Leidenschaft. Der Prozess der Komposition, der Entwicklung eines Tracks, das Neue, darin gehe ich auf. Über die Vergangenheit möchte ich mir keine Gedanken machen, das habe ich eh schon erlebt. Viel lieber bin ich im Hier und Jetzt und freue mich gespannt auf das, was ich heute zu hören bekomme. Täglich werden mir ca. 30-40 Tunes zugeschickt, die ich mir fast alle anhöre. Ich frage mich immer, “was ist der nächste Tune, der mich begeistert?” und dann eine Stunde später höre ich den Tune wahrscheinlich schon in meinem Kopf. Ich höre auch viel alte Musik, und interessiere mich für Pop Kultur, Geschichte…und lese auch viel darüber. Man lernt nie aus und es kommt immer etwas Neues, oder auch was altes Neues. Gerade bin ich von Äthiopische Musik sehr beeindruckt. Es ist fantastisch, was die in den 60. und 70. Jahren geschaffen haben: unglaubliche Rhythmen, sehr vom Jazz beeinflusst und doch total Afrikanisch.
Wenn Sie in einem Club oder auf einem Festival auflegen, welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf bevor Sie den ersten Track spielen?
Ich weiß meistens die erste Nummer, die ich spielen werde. Manchmal entscheide ich mich auch ganz spontan, weil eine Stimmung im Raum ist, die mich inspiriert. Zum Beispiel spiele ich dann etwas am Anfang, das total deep ist, was den Raum runterholt und die Leute aufweckt. Das kommt immer auf den Moment an, Auflegen so wie Schach spielen — man muss wissen, wo man hin will und wie man hin kommt. Dabei kann man die Leute schön auf eine Reise mitnehmen. Das ist das Geheimnis von guten DJs.
Was ist ein übliches Missverständnis über Ihren Beruf?
[lacht] Vermutlich, dass ich nur Party mache und eigentlich gar keinen Job habe. Ich arbeite ja nur in der Nacht, und es ist schwer, um 1 oder 2 Uhr gut zu funktionieren. Ich kenne mich und meinen Rhythmus, deshalb vermeide ich es, Dinge für den Morgen zu planen und bleibe normalerweise zu Hause. Obwohl ich ein Nachtmensch bin, ist es hart — besonders im Winter, wenn die Sonne sowieso nicht da ist.
Wie würden Sie Ihre Beziehung zu Wien beschreiben?
Ich bin geborener Wiener und lebe schon mein ganzes Leben im selben Bezirk, im 16. — vor kurzem bin ich in den selben Bezirk wie der QWSTION Store gezogen, den 7., weil mein Haus gerade renoviert wird. Wien ist eine tolle Stadt, sie hat ihr eigenes Tempo und das ist sehr langsam. Was aber sehr gut ist, vor allem für das, was ich mache. Hier kannst du deine Sachen in Ruhe entwickeln, dir Zeit lassen und bist nicht von einem Hype eingefangen. Ich habe in Paris gelebt und ich liebe diese Stadt, aber ich konnte den Hype nicht ausstehen. Da ging es immer um das Neueste und Hipste, nur um dann zwei Monate später etwas komplett anderes wichtig und schön zu finden. Solche Städte sind nicht gut für mich. Ich brauche die Abgeschirmtheit, sie ist irgendwie besser für mich, um nachzudenken und mich mit Dingen auseinanderzusetzen. Wenn ich arbeite, bin ich in meiner eigenen Welt, ich brauch nichts anderes — und das kann ich in Wien sehr gut machen.
Wohin gehen Sie, um in Wien Inspiration zu finden und Gedanken zu klären?
Ich gehe gerne spazieren. Einfach irgendwohin, also ich lass mich treiben ohne bestimmtes Ziel. Ich folge einer Straße und biege da oder da ab. Früher bin ich viel Auto gefahren, hatte alles auf Kassette und bin einfach stundenlang rumgefahren, das war auch schön. Aber jetzt gefällt mir das Gehen besser. Immer noch in Begleitung von Musik, nur eben mit Kopfhörer.
Was sind Ihre Rituale auf langen Reisen?
Ich versuche so leicht wie möglich zu reisen, so kann ich einfach direkt zum Flugzeug gehen, ohne Gepäck einzuchecken oder am Ende stundenlang darauf zu warten. Wenn ich dann im Hotelzimmer ankomme, stelle ich alles so um, wie es mir gefällt. Ich bin sehr lärmempfindlich und finde es oft schwer, in Hotels zu schlafen. Ich nehme auch immer ein “Home-Outfit” mit, weil ich im Hotelzimmer gern wie zu Hause angezogen sein mag.
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