Eisenstadt 1921
Freischärler-Staatspläne bei gemütlichem Umtrunk
Anlässlich der Aufnahme des Burgenlandes als selbständiges Bundesland per Gesetz vom 25. Jänner 1921 berichtet Professor Dr. Ingrid Nagl-Schramm diesmal davon, wie Eisenstadt beinahe ein Freischärler-Staat geworden wäre.
Autorin: Dr. Ingrid Nagl-Schramm
EISENSTADT. Eisenstadt wäre, überspitzt gesagt, beinahe schon im Oktober 1921 Hauptstadt geworden, allerdings nicht vom Burgenland, sondern Zentrum eines ungarischen Freischärler-Staates namens Lajtabánság. In der Stadt herrschte seit Ende September eine zwiespältige Koexistenz zwischen dem Vertreter der Entete-Mission Oberst Gauthier, einem hochgewachsenen eleganten französischen Offizier, der gut deutsch sprach, und dem Eisenstädter Garnisons-Kommandanten Dr. Dezsö Wein. Beide residierten im Schloss Esterházy, in dem man sich gegenseitig mit Provokationen bekriegte, um danach vermutlich bei einem Glas Wein das Leben zu feiern. Dr. Dezsö Wein, im zivilen Beruf ein Zahnarzt aus Eisenstadt, gehörte der "Truppe" der Friedrich-Freischärler an.
István Friedrichs Leute galten als „gemütliche Bohemiens“ und unterschieden sich gewaltig von anderen paramilitärischen Einheiten, unter denen sich bluttriefende Dramen und grausame Folterungen abspielten. Es war eine relativ gute Zeit für die Bevölkerung, denn der Garnisons-Kommandant Dr. Deszö Wein arbeitete eng mit dem Bürgermeister, dem Stadtpfarrer, dem Lehrer und dem Notar zusammen. Er ließ über dem Portal des Schlosses Esterhazy die ungarische Fahne hissen und eine Ehrenwache aufziehen. Für Oberst Gauthier eine Provokation, gegen die er heftig protestierte. Die Antwort, die er erhielt, zeigt, wie sehr sich die Freischärler bereits als Sieger fühlten. Man teilte Gauthier mit, die Fahne so wie auch die Wache vor dem Portal des Schlosses zu belassen, und sollte man nochmals bemerken, dass er die Österreicher über die Aktivitäten der Freischärler telefonisch informiere, werde man ihm die Leitung kappen.
Am 4. Oktober kam István Friedrich in Eisenstadt an. Er trug sich mit dem Plan, auf dem von den Freischärlern besetzten Gebiet den unabhängigen Staat Lajtabánság auszurufen. Er kam damit aber zu spät, denn Pál Prónay, einer der blutrünstigsten Guerilla-Führer auf burgenländischem Boden, hatte bereits in Oberwart das Leithabanat gegründet. Nach dem Abzug der Friedrich-Freischärler hatte die Eisenstädter Bevölkerung nichts mehr zum Lachen. Die berüchtigte Lumpen-Garde, ein nur schwer disziplinierbarer Haufen aus bettelarmen Leuten, die sich größtenteils nicht einmal Schuhe leisten konnten, unter Führung Iván Héjjas, plünderten in der Stadt.
Buch "Pannonische Streifzüge"
Die Geschichte ist Teil des Buches „Pannonische Streifzüge“ von Ingrid Schramm und Andrea Glatzer, das im Herbst erscheinen wird.
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