Vergessene Eisenbahn Mauthausen-Gaisbach
Als Opa mit dem Dorftrottel nach Ried fuhr

Ein Schatz aus dem Archiv von Franz Walzer (St.Georgen/G): Das einzige derzeit bekannte Bild der Haltestelle Ried-Zirking aus der Betriebszeit der Eisenbahn Mauthausen-Gaisbach. Im Vordergrund der Beginn der Brücke über die heutige B123. Genau hier befindet sich heute die große Straßenkreuzung nach Ried. | Foto: Archiv Franz Walzer, Fotorepro Eckhart Herbe
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  • Ein Schatz aus dem Archiv von Franz Walzer (St.Georgen/G): Das einzige derzeit bekannte Bild der Haltestelle Ried-Zirking aus der Betriebszeit der Eisenbahn Mauthausen-Gaisbach. Im Vordergrund der Beginn der Brücke über die heutige B123. Genau hier befindet sich heute die große Straßenkreuzung nach Ried.
  • Foto: Archiv Franz Walzer, Fotorepro Eckhart Herbe
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"Zugreisen nach Wien oder Prag und dabei an Haltestellen wie Ried-Zirking oder Hartl-Altaist einsteigen? Schön wär's!" Die Reaktionen der Einheimischen unter 70 schwanken zwischen belustigt und ungläubig. Doch auch viele Ältere erinnern sich kaum noch an die Eisenbahn St. Valentin - Mauthausen - Gaisbach, die bereits am 6. November 1872 eröffnet wurde, bis zum 5. Juni 1956 bestand und auf der skurrile Fahrzeuge wie der "Dorftrottel" verkehrten.
MAUTHAUSEN/RIED/WARTBERG. Es gibt kaum eine Strecke, aus deren 84-jähriger Betriebszeit so wenige Erinnerungen erhalten sind und die schon kurz nach ihrer Einstellung fast völlig aus dem Landschaftsbild verschwand. Am Perger Hauptplatz ist die Bahn auf einem Wandgemälde am Haus des Eiscafes Corso noch eingezeichnet. Es ist ein Zeitdokument dieser vergessenen Strecke, einst der Hauptast der Summerauerbahn, und bereits 1872 als Flügelbahn der "Kaiserin Elisabeth-Westbahn " - der heutigen Strecke Wien -Salzburg - errichtet.

Nachfolgestrecke der Pferdeeisenbahn

Sie war Nachfolgerin der legendären, aber schon bald nach ihrer Eröffnung veralteten Pferdeeisenbahn Linz-Budweis, deren ursprüngliche Trasse sich als ungeeignet für die Umrüstung auf Lokomotivbetrieb erwies. Die Strecke begann in St. Valentin und überquerte die Donau auf der in nur zwei Jahren erbauten Eisenbahnbrücke. Dieser Teil wird noch immer benützt. Die in Mauthausen abzweigende, heutige Machlandbahn bis St. Nikola-Struden wurde aber erst 27 Jahre später errichtet. Die Strecke nach Gaisbach stieg kurz nach dem Bahnhof stark an und erreichte nach etwa drei Kilometern die Haltestelle Ried-Zirking, genau an der heutigen Abzweigung  von der B123 nach Ried gelegen. Ein Fundamentschaden am nachfolgenden Viadukt über die Straße war 1956 Grund für die Betriebseinstellung und die Abtragung der mittlerweile unrentabel gewordenen Strecke kurz danach.

Betriebseinstellung 1956

Diese Stahlbrücke wurde am 30. August 1956 gesprengt. Ein spektakuläres Ereignis, zu dem die Menschen aus nah und fern pilgerten , wie die Mühlviertler Nachrichten, eine Vorläuferzeitung der Bezirksrundschau, und weitere Zeitungen ausführlich berichteten (siehe Fotos). Die Trasse führte dann vorbei an Obenberg etwa parallel zur B123 und zum Aisttal zur rund fünf Kilometer weiter gelegenen Station Hartl-Altaist. Sie erreichte schließlich durch einen Einschnitt bei Frensdorf-Obergaisbach den Bahnhof Gaisbach-Wartberg der heutigen Summerauerbahn, die weiter Richtung Norden nach Budweis führt. Kaum vorstellbar, dass man einst dem erst 1873 fertiggestellten heutigen Streckenast von Gaisbach durch das Gusental über Lungitz, St. Georgen und Steyregg nach Linz  weit geringere wirtschaftliche Erfolgsaussichten zugemessen hatte. Vor einigen Jahren gab es kurzzeitig - mittlerweile wieder verworfene - Überlegungen, mit einem erneuten Streckenbau Gaisbach-Mauthausen Güterzüge aus Nordeuropa ohne Umweg über Linz via St. Valentin und Ennstal nach Südosteuropa zu leiten. 

Eldorado skurriler Bahnfahrzeuge

So wenig heute noch an diese Eisenbahn erinnert - in punkto origineller Fahrzeuge, die auf ihr unterwegs waren, war sie etwas ganz Besonderes.  Einige wenige Fotos existieren davon. So verkehrte etwa der ölgefeuerte Dampftriebwagen 3041, ein Einzelstück, von dem sich im Bahnhofsarchiv Perg ein Foto fand. Er war von einem bizarren  Dachaufbau gekrönt und bei weitem nicht so elegant wie der VT63, ein stromlinienförmiger "Austro Daimler" Schnelltriebwagen aus den 1930er-Jahren. "Schnell" war allerdings relativ zu sehen  - eine viel zu schwere Konstruktion in Kombination mit leistungsschwachen Motoren, die PS-mäßig heute in jedem Kleinwagen zu finden sind, und weitere konstruktive Schwächen, sorgten für nur kurze Auftritte im Reiseverkehr. Letztendlich zuckelte dann auch noch der DT 3071 von Gaisbach nach Mauthausen: eine  skurril anmutende Dampflok mit integriertem Gepäckabteil, ausgelegt für Einmannbedienung ohne Heizer. Eigentlich eine sehr ökonomische und zuverlässige Konstruktion für Nebenbahnen, die in der ganzen Monarchie verkehrte. Das "DT" in der Typenbezeichnung bescherte der Lok allerdings im Volksmund einen wenig schmeichelhaften Spitznamen: Unsere Großeltern waren mit dem "DorfTrottel" unterwegs...

Wenige Erinnerungen an die Gaisbacher-Bahn

Dass es überhaupt Wissen und Bilder zu dieser Bahn gibt, ist einigen wenigen  Einzelpersonen, Autoren, Eisenbahnliebhabern und Heimatkundlern zu verdanken, die dieses Stückchen Lokalgeschichte für die Nachwelt bewahren und ihm immer wieder neue Puzzleteile hinzufügen.
Ein besonderer Dank für viele Bilder diese Beitrags gilt Franz Walzer vom Heimatverein St. Georgen/Gusen für seine Hilfe bei der Recherche.

Update: Leserfoto der Haltestelle Ried-Zirking

Bei vielen unserer - vor allem älteren - Leserinnen und Leser aus der Region hat dieser, am 28. Jänner 2021 publizierte Beitrag Erinnerungen an "ihre" vergessene Bahn geweckt, wie sich in zahlreichen positiven Reaktionen zeigten. Besonders herzlichen Dank an Johann Aspelmayr aus Ried in der Riedmark, der der Redaktion ein weiteres historisches Bild der Haltestelle Ried-Zirking mit Mitgliedern seiner Familie übermittelte.
www.meinbezirk.at/perg/c-lokales/leserfoto-von-der-bahnhaltestelle-ried-zirking_a4462041

Einige interessante Links und Hinweise:

Ein detailliertes Porträt der Bahn samt einzigartiger Fotos bietet das neu erschienene Buch "Die Summerauer Bahn" der Autoren Niklas Bisenberger und Markus Müller (Verlag Railway-Media-Group).
www.rmg-verlag.at/publikation-bilderbuchbogen-normalspurstrecken.htm

Historische Streckenbilder auf der Homepage der Gemeinde Ried in der Riedmark. 
www.ried-riedmark.at/Bahntrasse_Mauthausen-Gaisbach

Die Feuerwehr Obenberg hat bei einem Wandertag 2019 auf den Spuren der Bahn deren Überreste dokumentiert.
www.ff-obenberg.at/2019/07/30/familienwandertag-31-08-2019-2/
www.ff-obenberg.at/2019/09/02/familienwandertag-31-08-2019/

Die Homepage des Eisenbahnenthusiasten Gerhard Obermayr bietet auch zur Gaisbacher Bahn einen Fülle an Informationen:

Beschreibung des Dampftriebwagens 3041
www.eisenbahn.gerhard-obermayr.com/oebb/die-oebb-fahrzeuge/dampflok-normalspur/3041/

Beschreibung des Dampftriebwagens 3071 ("Dorftrottel")
www.eisenbahn.gerhard-obermayr.com/oebb/die-oebb-fahrzeuge/dampflok-normalspur/3071/

Streckengeschichte Eisenbahn St. Valentin - Gaisbach.
www.eisenbahn.gerhard-obermayr.com/oebb/bel-strecken-normalspur/gaisb-wartbg-st-valentin/die-geschichte/

Ausstellung 120 Jahre Machlandbahn
(mit Erwähnungen der Strecke Mauthausen-Gaisbach)
www.ooegeschichte.at/themen/architektur-und-stadtentwicklung/120-jahre-machlandbahn/personen-und-gueterzuege-der-donauuferbahn/

Streckenbeschreibung des Eisenbahnhistorikers Elmar Oberegger
www.oberegger2.org/enzyklopaedie/budweiser.htm

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