KZ-Komplex Gusen
Aufklärung gefordert

Im Interview: Martha Gammer, Gedenkdienst-Komitee Gusen.
  • Im Interview: Martha Gammer, Gedenkdienst-Komitee Gusen.
  • hochgeladen von Michael Köck

Was geschah im 2. Weltkrieg in Gusen? Gedenk-Komitee für internationale Historiker-Kommission.

ST. GEORGEN AN DER GUSEN. Gab es in Gusen ein geheimes unterirdisches KZ mit tausenden Häftlingen? Forschten die Nazis hier an Geheimwaffen? Die neue ZDF-Doku "Die geheimste Unterwelt der SS" legt diese Vermutungen nahe – siehe Bericht. Im Film spricht auch Martha Gammer vom Gedenkdienst-Komitee Gusen. Sie fragt: "Es verschwinden 18.500 (Anm. Häftlinge) aus der Rüstung und man muss sich fragen, wo sind sie hingekommen? Auf jeden Fall bestand der Befehl, dass besonders die Wissensträger nicht in die Hände der Alliierten fallen dürfen."

BezirksRundschau: Sie fordern seit Jahren umfassende Aufklärung.

Gammer: Wir, einige Mitglieder des damaligen St. Georgener Arbeitskreises für Heimat-, Denkmal-und Geschichtspflege", heute Gedenkdienst-Komitee Gusen (ein seit 2008 bestehender internationaler Verein), sind seit 35 Jahren bemüht, die Erinnerung an Gusen nicht sterben zu lassen. Wir kümmerten uns um die immer wiederkehrenden ehemaligen Gefangenen und deren Familien und hörten ihnen zu.
Die Besatzer, die Sowjetarmee, zerstörten das KZ Gusen I nach dem Krieg, weil es laut Stalin keine Erinnerung an gefangene Sowjetsoldaten geben durfte, nur gefallene Helden und die siegreiche Rote Armee. Das Vernichtungslager Gusen II hatten schon die Amerikaner wegen der Typhusgefahr bald nach der Befreiung niedergebrannt. Die österreichischen Behörden zerstörten die verbliebenen Reste durch Parzellierung des Lager-Areals und die nachfolgende Politik ließ Gusen vergessen. Nur Mauthausen galt als Erinnerungswert. Damit hat man aber die unendlichen Verbrechen der Nationalsozialisten im Bewusstsein der Österreicher faktisch halbiert.

Ich fordere, dass Gusen in seiner Existenzberechtigung als Vernichtungsort endlich richtig bewertet wird. Es geht um die Erinnerung an 36.000 – nach polnischer Forschung 44.000 – registrierte Häftlinge, dazu eine sehr große Zahl unbekannter Opfer, durch Menschen am Ort bezeugt auch Kinder, die hier zu Tode gebracht wurden.

Eine Expertenkommission sagte 2015, es gebe keine Hinweise auf weitere unbekannte Stollen. Historiker der Uni Wien meinten nun, die Vorstellung eines unterirdischen KZ sei "abenteuerlich". Wie beurteilen Sie diese Einschätzungen?

Auch das bekannte KL Linz II befand sich unter der Erde, in Tunneln unter dem Linzer Freinberg. Es gibt keine verbrecherische Idee, die für die SS nicht möglich gewesen wäre, speziell in Gusen, wo in den letzten Monaten der NS-Zeit etwa 20.000 bis 25.000 Menschen auf engstem Raum waren, zur "Vernichtung durch Arbeit", aber nicht nur durch Arbeit, besonders in der letzten Phase.
Die im Film gezeigten US-Dokumente weisen auf so ein unbekanntes "KZ" hin, aber sie sind nicht in unserem Besitz und müssen weiter fachlich begutachtet werden. Es kann nie ein "Ende der Forschung" geben, denn die Archive der ehemaligen Staaten hinter dem "Eisernen Vorhang" sind nicht völlig durchforstet. Das ist weitere Arbeit auf viele Jahre. Die Mehrzahl der Gusener Häftlinge stammte aus diesen Staaten.

Könnten die auf einer Luftaufnahme gezeigten Luftschächte überhaupt von Stollen stammen? Schon nach wenigen Metern stößt man auf Donau-Grundwasser.

Das stimmt aus heutiger Sicht. Die Donaukraftwerke Asten-Abwinden und Mitterkirchen wurden aber später gebaut, durch die Aufstauung stieg der Grundwasser-Spiegel. Die Frage des Grundwassers müssten Fachleute klären.
Diese Aufnahmen des Bereiches südlich des ehemaligen KL Gusen II waren bislang nicht bekannt. Sie zeigen Luftschächte in regelmäßiger Anordnung und deren planmäßige Zerstörung noch vor der Befreiung. Schlüsse müssen nach eingehender Untersuchung Fachleute ziehen. Es leben übrigens noch ehemalige Gefangene von Gusen II, die damals Jugendliche, sogar Kinder waren. Wir wissen aber nicht, ob dieser vermutete und dann gesprengte Gang zum KL Gusen II gehört hat, auch wenn der auf den Luftaufnahmen sichtbare Eingang im KL Gusen II lag. Aber man kann nicht behaupten, dass genau dort Menschen zu Tode gesprengt wurden. Das wissen wir nicht.

Was muss jetzt passieren?

Es braucht eine internationale Kommission von Historikern, die sich sachlich mit den gezeigten Dokumenten befasst und weiteren möglichen Dokumenten in Archiven nachgeht. In der nächsten Zeit werden mit Sicherheit neue Dokumente freigegeben, vor allem aus Moskau. Auch polnische Archive sind zu bearbeiten zusammen mit den schon sehr aktiven polnischen Historikern. Im Kommunismus war das nicht möglich.

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