Insektensterben: Brutale Wahrheit
Fritz Gusenleitner, ehemaliger Leiter des Biologiezentrums Linz, mit alarmierenden Fakten.
ST. GEORGEN/GUSEN. In Österreich leben rund 40.000 verschiedene Insektenarten. Auch ein spezialisierter Biologe wie Fritz Gusenleitner kennt weit nicht alle Insekten auf unserem Planeten: „Mindestens sechs Millionen bisher noch unentdeckte Arten dürfte es geben“, so der St. Georgner. Das Thema Insektensterben fand vor zwei Jahren den Weg an die breite Öffentlichkeit. Man fand damals heraus, dass in deutschen Naturschutzgebieten im Zeitraum 1989 bis 2016 etwa 75 Prozent der Fluginsekten verschwunden waren. Rund 90 Prozent der Blütenpflanzen sind auf die Bestäubung durch Insekten angewiesen. Insekten sind außerdem Nahrungsquelle für viele weitere Tierarten wie Vögel, Reptilien, Amphibien, Säugetiere, Fische und andere Insekten.
"Größte Gefahr für Leben auf der Erde"
Der Artenschwund betrifft deshalb nicht nur Insekten: „Bereits jetzt sind 14 Prozent aller Arten weltweit ausgestorben, mehr wird für das globale Ökosystem kaum noch verkraftbar sein. Die Wissenschaft spricht zunehmend vom erreichten ‚Point of no return‘. Der Verlust der Artenvielfalt stellt die größte Gefahr für alles Leben auf der Erde dar – noch weit vor dem Klimawandel“, warnt Gusenleitner. Die negativen Auswirkungen spüren wir nicht sofort. Der Artenschwund folgt erst Jahre später auf die Lebensraumvernichtungen. „All das, was heute unverantwortlich entschieden wird und passiert, zeigt seine Auswirkungen in den nächsten Generationen. In den vergangenen 50 Jahren erlebten wir in Österreich ein in Ausmaß und Tempo nie dagewesenes Artensterben. Über die Dauer eines Menschenlebens sind ein Großteil der Wiesenvögel, der Schmetterlinge und der Amphibien verschwunden und 47 Arten von Wirbeltieren (zehn Prozent) sind akut vom Aussterben bedroht. Die Situation ist also dramatisch“, so Gusenleitners Ergebnis. Was setzt den kleinen Krabblern und anderen Tieren so zu? „Intensive Landwirtschaft, die Versiegelung von Bodenflächen sowie weitere menschliche Einflüsse. Jeder Straßenbau, jedes Gewerbegebiet, jedes Einkaufszentrum, jedes Siedlungsgebiet entzieht auf Dauer den Pflanzen – und in weiterer Folge den Insekten – die Lebensgrundlage.“
Was ist zu tun?
Dagegen könnten wir einiges unternehmen: Mögliche Maßnahmen wären das verpflichtende Anlegen von Blühflächen in Privatgärten beziehungsweise die Bepflanzung mit geeigneten Wildblumen und blühenden Sträuchern. Mähroboter und der Einsatz von Pestiziden außerhalb der Landwirtschaft sollten im Sinne des Artenschutzes ganz vermieden oder gar verboten werden. „Denkbar wäre eine Rückführung von einem Teil der Parkflächen bei Supermärkten zu Blüh- und Brachflächen. Die Flächen stehen ohnehin meistens leer und sind nur an wenigen Tagen im Jahr ausgelastet“, meint der Biologe. Öffentliche Beleuchtung könnte auf LED-Technologie umgestellt werden. Die intensive Bewirtschaftung von Böden müsste politisch – auf Europaebene – geändert werden.
Gusenleitner schwebt auch ein nationaler „Masterplan zur Biodiversität“ vor. „Ohne Insekten werden unsere Ökosysteme zusammenbrechen und die Menschheit ihr Ende finden. Punkt!“
Zur Sache
1992 stimmte Österreich dem völkerrechtlichen "Übereinkommen über die biologische Vielfalt" zu. Grund: Es wurde festgestellt, „dass die biologische Vielfalt durch bestimmte menschliche Tätigkeiten erheblich verringert wird“, wie es im Abkommen heißt, und dass "die Erhaltung der biologischen Vielfalt ein gemeinsames Anliegen der Menschheit ist“. Bis heute haben 195 weitere Staaten das Abkommen unterzeichnet. Die daraus abgeleiteten Maßnahmen werden aber oft von den Vertragspartnern nur lasch umgesetzt. Wesentlicher Bestandteil des Abkommens ist, Verständnis und Bewusstsein bei der Bevölkerung zu schaffen. Damit die Menschen selbst ihr Kaufverhalten ändern und Maßnahmen setzen, um die Artenvielfalt zu fördern. Außerdem: "Es schwinden auch die Personen, die das Wissen zur Artenkenntnis besitzen", so Gusenleitner.
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