Episoden aus meinem Leben - Mutter
Episoden aus meinem Leben
76 Splitter - Ich bitte um einen aussagekräftigen Titel
Link zur Übersicht aller bisherigen Splitter
Link zum Feedback auf diesen Splitter
Link zum Feedback auf den letzten Splitter
Ich freue mich über jeden Titel oder Kommentar und über jeden, der künftig die Splitter regelmäßig erhalzten wollen. Bitte alles an: egon.biechl@chello.at
Kommentare nur für mich privat bitte als solche kennzeichnen.
Familie
In meiner Kindheit bin ich der Augapfel meiner Mutter. Das bedeutet aber auch, dass sie mich als ihr Eigentum ansieht. Eines der Probleme dabei ist, dass sie meinem Vater im Streit anbrüllt und dabei mich vom Boden aufhebt und in ihre Arme nimmt. Das macht mir, dem Dreijährigen, Angst.
Als sich mein Vater von ihr trennt und mich bei ihr zurücklässt, bin ich mit meinen acht Jahren emotional sehr betroffen. Obwohl sie rührend für mich sorgt, als ich an heftigen Kopfschmerzen leide, hält sich meine Sympathie für sie in Grenzen. Ihre strengen Verhaltensregeln empfinde ich als Freiheitsberaubung.
In dieser Situation bin ich froh und finde es auch großartig von meiner Mutter, dass sie mich, meiner höheren Schulbildung wegen in ein entferntes Internat ziehen lässt.
Ich finde es lästig, dass sie mich jedes Monat einmal besucht, schätze aber sehr, dass sie mich zum naheliegenden Bahnhof kommen lässt. Das ist deswegen, weil ihr der Fussweg zum Internat zu weit ist. Mir erspart es erfreulicherweise das Image eines Muttersöhnchens.
Bei einem Rückfall in meine Kopfschmerzen, die mich wieder ein Jahr in der Gymnasialzeit zurückwerfen, bin ich wieder bei ihr zuhause. Ich schätze ihre Sorge um mich, wenngleich ich mich wieder von ihr eingeschränkt fühle.
Mit zunehmendem Alter sehe ich unsere Beziehung lockerer. Dazu kommt für mich, den Klosterschüler, auch der moralische Faktor aus dem Dekalog: „Ehre deinen Vater und deine Mutter...“
So besuche ich meine Mutter ab einem Alter von siebzehn Jahren fast jeden Sonntag mit meinem Fahrrad. Meine Mutter freut das sehr und meiner Kondition schaden die 80 km, die ich insgesamt fahre, nicht. Nur mehr während meiner Ferien bin ich zur Gänze bei ihr und helfe ihr, verschiedene jener Hausarbeiten, die üblicherweise einem Mann zustehen, zu erledigen.
Als ich nach Italien versetzt werde, verliere ich meine Mutter komplett aus den Augen. Im Kloster ist es gang und gäbe, sich nach außen komplett abzuschotten. Das stellt sich zwar später als riesige Übertreibung heraus, aber ich bin da päpstlicher als der Papst. Währenddessen zieht meine Mutter nach mehrmaligem Umzug wieder zurück in den Ort meiner Kindheit. Ich weiß das nicht einmal und wundere mich sehr, als ich es später erfahre.
Als ich sie dort besuche, gibt es trotz der Wiedersehens-Freude doch Anspannung im Verhältnis zueinander. In dieser speziellen Situation kann ich meine Mutter dazu animieren, mit mir ein Glas Wein zu trinken, was sie sonst nie macht. Sie spricht mich darauf an, warum ich mich so lange nicht um sie gekümmert hätte. Ich versuche, ihr das mit den Klosterregeln zu erklären, was sie mir aber nur zum Teil glaubt. Jetzt beginne ich, ihr Vorwürfe zu machen. Ich erinnere sie daran, dass sie mir nicht gestattet hat, wie meine Freunde dabei zu sein, als wir für Handlanger-Dienste am Bauernhof eine Jause bekamen. Mir fällt auch ein, dass sie mich mit ihren strengen Verboten so zornig gemacht hat, dass ich nur durch’s Zerstören einer Briefmarkensammlung, durch einen unerlaubten Radausflug und durch eine durchwachte Nacht mit einem Fußmarsch von 50 Kilometern und einer Bootsfahrt auf einem Bergsee diese Wut bändigen konnte. Ich spreche sie darauf an, dass sie meinen Vater unnötig mit ihren Streitereien vergrault hätte. Ich zeige mich stinksauer und unversöhnlich.
Das nächste Mal treffe ich meine Mutter schwer krank im Spital. Mir tut meine unnachgiebige Haltung von neulich sehr leid. Gewissensbisse plagen mich und ich versuche, ihr Trost und Mut zuzusprechen. Sie stirbt dort mit 63 Jahren.
Selbst beim Begräbnis verhalte ich mich nicht wie ein normaler Sohn im Alter von 24 Jahren. Im Gegensatz zu einem solchen bin ich ja ein Kleriker, der das Gelübde zur Armut abgelegt hat und der es als gültiges Argument ansieht, künftig im Dienste der Kirche im Ausland zu leben. Dieser meiner Haltung kommt das Angebot der hiesigen Klosterschwestern entgegen, sich um das Grab meiner Mutter zu kümmern. Ich bin mir dessen gar nicht bewusst, was ich mit dieser Pflichtverletzung anrichte: ich überlasse meine Mutter dem völligen Vergessen, wie sich Jahre später herausstellt, als ich nicht einmal mehr den Platz ihrer Grabstätte finden kann.
Du möchtest selbst beitragen?
Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.
Kommentare
Du möchtest kommentieren?
Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.