Tausch anstatt Teufelskreis

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Einkaufen ohne Geld, Kredite ohne Zinsen? Das Tauschkreis-Experiment Niederösterreich hilft Mitgliedern, sich trotz Krise so einiges leisten zu können und zeigt, wie Wirtschaft auch funktionieren könnte.
REGION (sg). Das Kind eines Arbeitslosen fragt die Mutter: Warum heizen wir nicht? Weil wir keine Kohle haben. Warum haben wir keine Kohle? Weil der Vater arbeitslos ist. Warum ist der Vater arbeitslos? Weil es zu viel Kohle gibt.
Jener Satz, mit dem eine Zeitung im Jahre 1929 die Wirtschaftskrise auf den Punkt brachte, wurde in seiner Aussage 80 Jahre später wieder topaktuell. Der Talente- Tauschkreis Niederösterreich nimmt eben diesen Satz auf, um die Krise zu erklären. „Dort, wo am billigsten produziert wird, dort, wo die meisten Leute entlassen werden, wird investiert. In Kapital, nicht in Arbeit. So lange, bis niemand mehr Geld zum Einkaufen hat“, liest, wer sich auf www.tauschkreis.org umsieht.
„Ausweg aus der Krise“
Das weltweit entstandene Talente-Tauschexperiment versteht sich als Ausweg zu dem bestehenden Wirtschaftssystem, das für viele zum „Teufelskreis“ geworden ist. Waren und Dienstleistungen werden dort nämlich angeboten, gesucht und getauscht, ohne dass auch nur ein Cent in Umlauf kommt. „Die Finanzkrise spielt uns in die Hände“, ist Hugo Kraft, Kassier und eines von 30 Tauschkreis-Mitgliedern im Kremser Bezirk, überzeugt, „hier ist auch die Arbeit etwas Wert, für die dir sonst niemand etwas gibt.“
Reform: Stunden statt Talente
Aufgrund des Erfolges der vergangenen Monate wird das System jetzt reformiert. Die Stunde löst nun als einfach messbare Einheit das Talent als Währung ab. „Dabei ist eine Stunde Fenster putzen genau so viel wert, wie eine Stunde Computer programmieren“, erklärt Kraft, immerhin ginge es bei jedem Teilnehmenden um eine Stunde Lebenszeit. Bei Waren schlägt sich pro zehn Euro eine Stunde zu Buche.
Jede, auch noch so kleine Transaktion wird in eine korrekte Buchhaltung aufgenommen. „Nun wird auch das Tauschen mit anderen, auch internationalen Kreisen einfacher“, prognostiziert Kraft. Dabei öffnen sich Tauschkreise nicht nur für Private, sondern sind auch für Firmen interessant.
Eine Welt ohne Zinsen
„In der Buchhaltung werden die Tauschkreis-Transaktionen dann wie eine Fremdwährung behandelt“, weiß der Tauschkreis-Kassier. Ein gemeinsames Ziel der Tauschkreise ist es, sich vom Euro abzukoppeln und auch bei angesammelten Guthaben oder Minusstand an Stunden keine Zinsen anfallen zu lassen. Die im Umlauf befindlichen „Stunden“ werden also nicht mehr und die Leistung behält ihren Wert.
Wer beim Tauschkreis mitmischen möchte, benötigt schon ein gerütteltes Maß an Vertrauen, auf seine Rechnung zu kommen. Auch wenn das System erfahrungsgemäß gut und fair funktioniert, gibt es einige Berufsgruppen, wie etwa die Bauern, die außerordentlich gefragt sind. „Landwirte häufen durch ihre begehrten Produkte meist schnell ein hohes Guthaben an“, weiß Kraft, „da aber wenige Mitglieder bäuerliche Arbeit leisten wollen, ist es schwer, dieses auch bald eingelöst zu bekommen.“
Persönlicher Kontakt als Motor
Zurück zum Prinzip des Arbeitslosen, der wegen eines Überangebotes an Kohle nicht heizen kann: Beim Tauschkreis werden nur vorhandene Bedürfnisse befriedigt, denn alle Angebote können jemandem helfen und sind wiederum eine Gegenleistung wert. Die Aussage „Ich kann nichts“, löst sich beim Tauschkreis meist bald in Luft auf. Schließlich gäbe es jede Menge Arbeitslose, die mit Leistungen, wie Übersiedelungen, dienlich sein könnten, um sich dafür wieder andere Dinge zum Leben gönnen zu können. Gerade darum sind neben der neuen Announcen-Verwaltung die regelmäßigen Treffen des Tauschkreises so wichtig, wie Hugo Kraft weiß: „Denn erst durch das Reden kommen die Leute zusammen.“
Der Tauschkreis NÖ
Weitere Informationen zum Tauschkreis sowie zu den regelmäßigen Treffen finden Sie auf www.tauschkreis.org.
Am Samstag, 22. Mai wird der Tauschkreis Niederösterreich am Rathausplatz St. Pölten vorgestellt.
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