Kommentar
Ist der Mann dumm?

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Sofern es die Zeit zulässt, sind ein oder zwei Stunden am Wochenende für mich reserviert, um gemütlich die Zeitung zu lesen. In meinem Fall meistens die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung. In der vergangenen Ausgabe der SZ waren gleich zwei längere Artikel über Putin zu lesen. Mein jüngerer Sohn sah, wie ich gerade einen dieser Artikel las und fragte mich, ob dieser Mann dumm sei? Gemeint war natürlich Putin. Wie er denn auf solch einen Schluss kommen würde, fragte ich ihn. Weil er Krieg gegen die Ukraine führe, Krieg grundsätzlich schlecht sei und Putin aus diesem Krieg nur als Verlierer aussteigen würde. Im ersten Punkt gab ich meinem Sohn recht. Beim zweiten Punkt war und bin ich mir nicht so sicher.

All das, was im Folgenden geschrieben wird, entschuldigt weder Putins Handlungen noch all die Konsequenzen eines Krieges. Laut einer Weisheit der Mutter Forrest Gumps (Film mit Tom Hanks) ist derjenige dumm, der Dummes tut. Insofern ist Putin dumm. Er hat etwas Dummes getan. Putin ist seit Jahrzehnten an der Spitze der russischen Regierung. Er hat seinen Machtapparat sukzessive so umgebaut, dass nur er entscheiden kann, was in seinem Land passiert. Und das war in den letzten Jahrzehnten nicht zum Vorteil von liberalen Denkern und demokratische Strukturen in Russland sind bloß eine Matrix, von der sich viele blenden lassen. Wer Putin nur ansatzweise verstehen möchte, muss die Geschichte Russlands kennen und vor allem seine Biografie. Beides sind die Grundsäulen seines Denkens und seiner taktischen Überlegungen. Das ist keine Bewertung im Sinne von Gut oder Schlecht, sondern ein Versuch einer Begründung, warum Putin so handelt. Und seine Handlungen gegen das ukrainische Volk und die daraus entstehenden Konsequenzen aus dem sogenannten Westen, waren schon sehr lange, sehr detailliert von ihm überlegt.

Der Krieg gegen die Ukraine hat mittlerweile nicht nur Tausende Todesopfer und Leid auf beiden Seiten erzeugt, sondern fordert die Welt, allen voran Europa auf, über Strukturen, Abhängigkeiten und Pakte nachzudenken. Putins größte Joker in diesem Krieg: Energie und Rohstoffe. Von beiden Faktoren ist Europa von Russland und eben auch der Ukraine extrem abhängig. Daher die etwas sehr provokante Frage: Warum muss erst ein Krieg passieren, dass man EU-weit und in den einzelnen Ländern über mögliche Alternativen und somit mögliche positive Aspekte nachdenkt? Hat Putins Krieg also etwas Gutes? Ein klares Nein, aber es zwingt dumme Menschen, die bisher Dummes getan haben, über ihr Handeln nachzudenken. Energiealternativen, Rohstofferwerb, Lebensmittelkonsum, Verbrauch von Energie und und und. Plötzlich wird die Liste immer länger, worüber die einzelnen Regierungen der europäischen Länder nachdenken und viel wichtiger Alternativentscheidungen fällen. Selbst im wohlhabenden Vorarlberg wird über die Konsequenzen des Krieges nachgedacht, da die Globalisierung und Abhängigkeit nicht an den Grenzen zu unserem gallischen Ländle haltmachen. Im Gegenteil. Die Kettenreaktionen haben erst begonnen und deren Konsequenzen sind nicht wirklich vorhersehbar.

Um noch einmal auf die Eingangsfrage meines Sohnes zurückzukommen: Ist der Mann dumm? Putin ist nicht dümmer als wir alle. Er hat nur mehr und aus westlicher Sicht die falsche Macht. Wir sind im Grunde genauso dumm, weil wir viel zu lange zugesehen, viel zu lange konsumiert haben, als würde es kein Morgen geben und uns die Wertschöpfung und der Erhalt unserer Heimat im Grunde egal ist. Zumindest leben wir so. Dumm ist der, der Dummes tut. Das ist kein Einzelner, das ist die Menschheit. Das sind wir.

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