Kommentar
Nach dem Unterricht kommt die Hilfe

Christian Marold
RZ-Chefredakteur | Foto: RZ

Ein bis zweimal in der Woche privaten Nachhilfeunterricht und in den Sommerferien drei Wochen Lernferien. Das war neben der normalen Unterrichtszeit viele Schuljahre mein Zusatzprogramm. Keine Fleißaufgabe, es war notwendig, sonst wäre meine Schullaufbahn wahrscheinlich nach der Volksschule schon zu Ende gewesen. Aus der Sicht der Eltern war anschließend das Gymnasium, warum auch immer, erwünscht. Das hatte aber das erwähnte Zusatzprogramm zur Folge. Und das war damals schon sehr teuer. Ein Teil des Monatsverdienstes floss also in die Nachhilfestunden des Filius. Denn eines war leider auch damals schon klar: Die Vermittlung von Wissen konnte man nicht über einen 30 Schüler starken Klassenverband „drüberstülpen“. Individuelles Lernen gab es nicht wirklich und wie man richtig und vor allem jeder einzelne Schüler am besten lernt, stand nicht im Lehrplan. Zusätzlich konnten mir meine Eltern bei der Wissensvermittlung ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr weiterhelfen. Fazit: Teure Nachhilfestunden wurden bezahlt. Und das alles noch in einer Zeit, als es den Samstagsunterricht auch noch gab.

Wie sieht der Blick auf das Heute aus? Hat sich etwas verändert? Nun bin ich selbst Elternteil, der Nachhilfestunden bezahlt und auch wir als Eltern uns immer schwerer tun, unseren Kindern beim Lernen zu helfen. Beachtet man die derzeitige Inflation, ist der Nachhilfeposten im Monatsbudget purer Luxus, den sich mittlerweile nicht mehr viele leisten können. Luxus, den man sich aber leisten muss und wegen dem an anderen Enden gespart werden sollte.

Das Sozial- und Meinungsforschungsinstitut IFES hat 2022 im Auftrag der Arbeiterkammern Wien und Vorarlberg wieder eine repräsentative Umfrage bei Eltern von Schulkindern zum Thema „Nachhilfe“ durchgeführt. Schon die nackten Zahlen sind erschreckend: Jedes sechste Vorarlberger Schulkind hat im Schuljahr 2021/2022 bezahlte Nachhilfe gebraucht. Im zu Ende gehenden Schuljahr flossen in Vorarlberg 4,4 Millionen Euro in bezahlte Nachhilfe, das waren 1,4 Millionen oder 46 Prozent mehr als im Schuljahr zuvor. Eltern von 7.200 weiteren Kindern konnten sich das gar nicht leisten. Neben der finanziellen Belastung kommt für einen Hauptteil der befragten Eltern noch der zeitliche Aspekt hinzu: Mit mehr als der Hälfte der Schüler (55 Prozent) lernen die Eltern mindestens einmal oder mehrmals in der Woche. 22 Prozent der Eltern lernen sogar so gut wie täglich mit ihren Kindern. Immerhin vier von fünf Eltern, die ihren Kindern bei Schulaufgaben helfen, sind mehr oder weniger spürbar zeitlich belastet.

Das sind nur die Fakten, die nackten Zahlen, der Ist-Zustand. Dieser hat sich in den letzten dreißig Jahren wenig bis gar nicht verändert. Eine lange Zeit, in der Nachhilfeinstitute und möglicherweise auch angehende Lehrer sich durch Bildungsvermittlungsversagen eine goldene Nase verdient haben.

Im Grunde ist das so, als müsste ich nach meinem Restaurantbesuch zu Hause noch einmal kochen und etwas essen, weil das Essen, für das ich im Gasthaus bezahlt habe, nicht ausreichend war. Bin ich zu faul oder kann nicht kochen, lass ich mir etwas bringen. Wieder für viel Geld.

Wenn also das System Schule und Bildung so gut funktionieren würde, dass alle Kinder gleich gute Lernerfolge vorweisen könnten, dann wäre die systemische Nachhilfe Geschichte. Nachhilfe beruht also zum größten Teil auf dem Versagen der Wissensvermittlung. Wer das bezweifelt, hat entweder ganz dicke Scheuklappen oder profitiert von beiden Systemen: Schule und Nachhilfe. Ein beachtlicher Wirtschaftszweig mittlerweile, den es per se gar nicht geben dürfte.

Jedes sechste Schulkind benötigt Hilfe

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