Touristiker wollen Almwirtschaft in den Gästefokus rücken

Strauch- und Buschwerk muss beim Schwenden auf der Alm weichen. Auch zu hohes Gras könnte im Zusammenspiel mit Schnee zur Bodenerosion beitragen.
9Bilder
  • Strauch- und Buschwerk muss beim Schwenden auf der Alm weichen. Auch zu hohes Gras könnte im Zusammenspiel mit Schnee zur Bodenerosion beitragen.
  • hochgeladen von Sebastian Noggler

OBERAUDORF/BEZIRK (nos). Die "Euregio Inntal-Chiemsee-Kaisergebirge-Mangfalltal" koordiniert mit den Projektpartnern – dem Tourismusverband "Kufsteinerland", dem "Chiemsee-Alpenland Tourismus" und der "Alpenregion Tegernsee-Schliersee" – eine Fortbildungsreihe für deren Wanderführer. Ziel ist, mit der dafür initiierten gemeinsamen Fortbildung und einem abschließenden Symposium den "Kulturraum Alm" stärker ins Bewusstsein von Gästen und Einheimischen zu rücken und so auch jene Probleme anzupacken, denen sich Almbauern und -bewirtschafter aktuell ausgeliefert sehen.

Zum Projektauftakt wurden die Fortbildungsreihe und die gesteckten Etappen vor rund 30 Interessierten und Involvierten im Kursaal von Oberaudorf (Bayern) präsentiert und diskutiert. Eingangs schilderte "Euregio Inntal"-Präsident Hubert Wildgruber, der Bürgermeister der Gastgebergemeinde, den Weg hin zum Projektantrag. Wildgruber ist selbst ausgebildeter Wanderführer und weiß: "Die Landwirte stehen immer wieder – etwa wegen Subventionen – in der Kritik, aber wer sich die Almwirtschaft in der Praxis anschaut, der merkt bald, dass die Situation dort ganz anders ist." Die Almbewirtschaftung ist zeit- und personalintensiv, Landwirtschafts-Förderungen hängen von den nationalen Gesetzen ab. In Deutschland profitieren Großbetriebe mit vielen Hektar Land und hohen Besatzzahlen weitaus stärker von öffentlichen Geldern, als Bauern im Alpenraum, wo kleinteilige Betriebe vorherrschen.
An die Euregio traten die regionalen Liftbetreiber heran, um gemeinsam mit Touristikern und Landwirten mehr Aufmerksamkeit auf das Thema Alm zu lenken.

"Wir müssen die Welt nicht neu erfinden, wir machen eine Zusatzausbildung für Berg- und Wanderführer!"

Wildgruber ist von der Notwendigkeit fest überzeugt und meint mit Blick auf den über Generationen geschaffenen und betreuten Kulturraum: "Man muss den Leuten immer wieder vorbeten, dass das nicht von allein kommt!"

Christina Pfaffinger, Geschäftsführerin im "Chiemsee-Alpenland-Tourismus", stellte die Frage in den Raum, was Gäste suchen, wenn sie ihren Urlaub in der Region verbringen. "Keine Partyalmen, sondern Kraft und Ruhe" stünden im Mittelpunkt der Entscheidung. Darum wolle man "ehrlich vermitteln, welche Arbeit hinter der Almbewirtschaftung steckt", so Pfaffinger. Am Ende hoffen die Touristiker daraus "schöne, touristisch buchbare Produkte" entwickeln zu können.

Vom Ländlichen Fortbildungs Institut (LFI) Tirol kam Thomas Lorenz nach Oberaudorf. Ihm obliegt im LFI die Projektleitung "Bildungsoffensive Almwirtschaft". "Die Leute wissen, was sie wollen, daraus haben wir ein Konzept erstellt", so Lorenz. Das "intensive Fortbildungswochenende" diene dazu, in 20 Stunden "Verhältnisse kennen zu lernen und sich zwischen Bauen und Tourismus auszutauschen".
Drei Module werden von Freitagnachmittag bis Sonntagnachmittag auf die Interessierten warten, dabei geht's neben dem notwendigen Basiswissen zur Almwirtschaft auch um Praxis in zwei Betrieben (je einer in Tirol und einer in Bayern) und Begleitung für die Führer. "Das ist ein kompaktes Programm und eine nette Herausforderung", so Lorenz, "beinahe jeder sympathisiert mit der Almwirtschaft, wir wollen sie entsprechend in Wert setzen". Die Fortbildung für Berg- und Wanderführer soll im Mai stattfinden.

Für den 21. Juni ist dann ein Symposium geplant, das sich nicht nur an Wanderführer, sondern alle Interessierten wende, wie Euregio-GF Esther Jennings erklärte. Besonders Schulen habe man dabei im Fokus, um Kindern spielerisch das richtige Verhalten am Almboden und den Wert des Kulturraums zu vermitteln.

Sepp Kern, Bezirksbauer des Almbezirks um Oberaudorf veranschaulichte die Ausdehnung des Almraums im Grenzgebiet zwischen Bayern und Tirol: "Allein das Audorfer Almgebiet erstreckt sich über rund ein Drittel der Fläche des ganzen Landkreises Rosenheim." 52 Almen werden von den Audorfern bewirtschaftet und "die müssen erhalten bleiben", forderte Kern, "da geht es nicht um die Bauern allein!"
Almwirtschaft sei auch Kulturraum- und Landschaftspflege. Werden Almen nicht mehr von Vieh beweidet oder von Landwirten gemäht, kann Bodenerosion zu Muren, Steinschlag und anderen Problemen führen. "Unberührte Natur geht im Kulturraum Alm einfach nicht, das muss man den Leuten auch erst erklären", so Kern weiter. Mittlerweile brauche es vermehrt Vieh von auswärts, um die Almen passend zu bestoßen, weiß Kern. Almwirte brauchen immer öfter befahrbare Wege, um das Vieh an die Alm zu bringen, der klassische "Auftrieb" sei oft weder personell machbar, noch gäbe es genügend Verkehrswege, auf denen der Viehtrieb noch machbar wäre.

Sepp Loferer, der Bürgermeister im bayerischen Schleching, ist selbst Almbauer. Er regte an über das im Projekt entstandene Netzwerk auch weitere Probleme der Almbauern anzugehen. Besonders wegen geltender Mindestlohnregelungen in Deutschland gäbe es verstärkt Personalprobleme, auch Normen und Vorschriften seien "jenseits von Gut und Böse", bemerkte Loferer. Entsprechende Anlagen zur Filtrierung und Reinigung von Trinkwasser seien für viele Almbewirtschafter nicht finanzierbar. Auch deshalb wenden sich immer wieder Landwirte von ihren Almen ab.
Doch auch mit gewissen Almbenutzern haben die Bauern ihre liebe Not, besonders eine Gruppe steht im Kreuzfeuer der Kritik: die Radfahrer.

Sperren, lenken, Angebote schaffen

"Wenn die Downhill-Fahrer über die Almen runter donnern und dir drei Kalbinnen abstürzen, ist deine Laune als Bauern nicht die Beste", stellte Sepp Loferer aus eigener Erfahrung fest. Er plädierte dafür den "Funsport so gut es geht zu unterbinden". Auch sein Flintsbacher Amtskollege Stefan Lederwascher musste bereits feststellen: "Gewisse Radfahrergruppen drängen in Wege, die wir deshalb extra gesperrt haben." Wie eine Problemlösung hier funktioniere, sei für ihn fraglich: "Ich weiß nicht, wie das ausgeht."
Die Touristiker sind hier in der Zwickmühle: einerseits wollen sie die Gäste mit Angeboten begeistern, andererseits wolle man sie auch wieder teilweise aussperren.
Sepp Kern meinte, er habe nichts gegen Radfahrer, so lange sie auf den Wegen bleiben. Die Wegeerhalter freilich machen sich Sorgen, wenn es um die Haftung bei Unfällen auf ihren Almwegen geht.
Für die in allen drei Tourismusregionen vorhandenen, buchbaren Radwanderführer sei die geplante Fortbildung allerdings primär nicht gedacht, stellten die Verantwortlichen auf Nachfrage fest. Ihnen gehe es zuerst um Wanderer.
Zudem zeigten sich besonders die bayerischen Touristiker davon überzeugt, dass die Mountainbiker und Downhill-Fahrer größtenteils Einheimische seien, die man mit Führungen und Angeboten ohnehin nicht erreichen würde. Gleichzeitig bietet nur eine der drei Regionen überhaupt eine eigene Downhill-Strecke an – am Samerberg. "Wer das bei uns macht, tut das meist auf eigene Faust", lautet das Resümee der bayerischen Touristiker. Im TVB "Kufsteinerland" wollte man im Nahebereich des Kaiserlifts eine Downhillstrecke errichten, die Verhandlungen scheiterten allerdings an einem Grundeigentümer, so TVB-Direktorin Sabine Mair. Ohne entsprechende Strecken-Angebote müssen sich die Verantwortlichen nicht wundern, dass Mountainbiker nach eigenem Gusto talwärts brettern, wo es ihnen gefällt.

Tiroler Know-How für bayerische Nachbarn

Mair gab den Nachbarn auch einen Einblick in die Maßnahmen "ihres" TVB: "Wir haben seit 2016 angestellte Mitarbeiter für den 'Naturpark Wilder Kaiser'. Angelika Atzl verfügt beispielsweise über eine zertifizierte Ausbldung als 'Tiroler Almführerin' und erklärt etwa auch Schülergruppen Details zur Almwirtschaft und zur 'essbaren Landschaft' in der Region."
Atzl gab in Oberaudorf einen Überblick über diese österreichweit angebotene, zertifizierte Ausbildungsvariante und die damit verbundenen Regelungen. Hier zeigten sich auch offene Fragen bei den bayerischen Nachbarn, etwas was Haftungs- und Versicherungsprobleme mit Schülergruppen angeht.
Im Gegensatz dazu ist die Wanderführer-Fortbildung der Euregio nur ein Zusatzbaustein. Gleichzeitig werden aber Multiplikatoren ausgebildet, die ihrerseits das Bewusstsein zum Arbeitsaufwand und die Grundbedingungen der Almwirtschaft weiter geben können. Dieses Bewusstsein beschränke sich nicht nur auf Wandergäste und Schüler, sondern solle bei allen Almbenutzern – Bauern, Jäger, Sportler, etc – geschärft werden, so das ehrgeizige Ziel der Euregio.

Rund 15- 20.000 Euro budgetierten die Projektpartner, bis zu 75 Prozent davon könnten über Fördermittel der Europäischen Union wieder zurückerstattet werden. Details zum geplanten öffentlichen Symposium am 21. Juni stehen noch nicht fest.

Du möchtest regelmäßig Infos über das, was in deiner Region passiert?

Dann melde dich für den MeinBezirk.at-Newsletter an

Gleich anmelden

1 Kommentar

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

Folge uns auf:

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.