"Wir brauchen ein Wirtschaftsschutz-Gesetz"

Auftakt 2015: WK-Präsident Jürgen Bodenseer mahnt die Politik vor zu großer Bürokratie und schleppenden Reformen.
  • Auftakt 2015: WK-Präsident Jürgen Bodenseer mahnt die Politik vor zu großer Bürokratie und schleppenden Reformen.
  • hochgeladen von Bianca Jenewein

„Wo steht Tirol?“, „Wie sind wir dorthin gekommen?“ und „Wo sollen wir hin?“ Diese Fragen stellte Wirtschaftskammer-Präsident Jürgen Bodenseer heute zum Auftakt 2015 der Wirtschaftskammer. Die Antworten lieferte er gleich mit und ging mit der Politik hart ins Gericht.

Hier ein Auszug aus seiner Grundsatzrede:

"Wir leben in einer Zeit unglaublicher Veränderungen und Umbrüche. Das wissen die Unternehmer, das spüren die Bürger – doch das haben die Politiker, insbesondere auf Bundesebene, offenbar noch nicht verinnerlicht", so Bodenseer eingangs.
Die Hauptfrage für den Präsidenten lautet aber, ob ein Standort bei den derzeitigen Veränderungen dabei ist oder nicht. "Im einen Fall gehört er zu den Gewinnern, im anderen Fall zu den Wohlstandsverlierern." Bodenseer: "Tirol hat eine ganze Menge an Schutzgesetzen: für den Jugendschutz, den Naturschutz, den Immissionsschutz und so weiter. Wir brauchen bald ein „Wirtschaftsschutz-Gesetz“, damit Unternehmer nicht zur bedrohten Spezies werden. Denn mit ihnen sterben die Arbeitsplätze aus. Das kann eine verantwortungsvolle Politik nicht wollen."

Die einzige Konstante in bewegten Zeiten: Veränderung

"Veränderungen rund um uns herum gibt es derzeit zur Genüge. Manuelle Arbeit verliert weiter an Bedeutung, der Wandel zur digitalen Wirtschaft schreitet zügig voran. Die Zukunft ist digital.
Auch der Trend zur "Glokalisierung", einem Kunstbegriff aus Globalisierung und Lokalisierung, wird greifbar. Die Globalisierung dringt bis weit ins Private vor. Und das Lokale, die Region, bekommt eine neue Dimension.
Gleichzeitig nimmt der Sog der Ballungszentren weiter zu. In Tirol ist der Tourismus eine Ausnahme-Chance, ländliche Regionen und Seitentäler mit wirtschaftlichem Leben zu erfüllen.
Regionalität ist auch am Bankensektor notwendig. Das öffentlich praktizierte Schlechtreden der Hypo Tirol ist fahrlässig. Wir sollten jetzt die Kraft dieser starken Landesbank nutzen und die Tiroler Hypo, unter welchem Namen auch immer, mit einem weiteren Tiroler Partner als starke Regionalbank agieren lassen.

Die Krise ist noch nicht vorbei

"Die größte aller Veränderungen der letzten Jahre war jedoch die Krise in den Jahren 2008 und 2009. Doch was ist dagegen unternommen worden? Gefühlte hundert Krisengipfel und Milliardenpakete sind noch keine Lösung. Es wurden nicht die Ursachen bekämpft – die Casino-Mentalität an den Börsen, die Cyberwirtschaft und die geringe realwirtschaftliche Bodenhaftung großer Bankkonzerne halten nach wie vor an. Jetzt, sechs Jahre später, stellt sich heraus: Die meisten Maßnahmen gegen die Krise waren nur Hansaplast – teures Hansaplast -, verändert hat sich gar nichts. Und nebenbei sind viele Länder praktisch pleite. Die Krise ist definitiv noch nicht vorbei", so Bodenseer

Hausgemachte Bremsklötze

"Österreich ist keine Insel der Seligen, Tirol auch nicht. Zu den internationalen Trends kommt eine Reihe an wirtschaftlichen Bremsklötzen, die hausgemacht sind. Unser Standort steht in vielen Fragen nicht nur still, sondern geht auch noch beherzt in die falsche Richtung. Allein das vergangene Jahr hat den heimischen Betrieben Fleißaufgaben beschert, die tief an die Substanz gegangen sind. In Tirol hat insbesondere die Novelle zum Naturschutzgesetz zusätzliche Kosten und einen Extra-Schub an Bürokratie gebracht. Die Betriebe werden mehr und mehr zu Erfüllungsgehilfen eines regulierungswütigen Staates, freilich unbezahlt", wettert er.

Hemmschuh Bürokratie
Der wohl größte Hemmschuh im Land ist laut Bodenseer die Bürokratie, die jeden Unternehmergeist im Keim zu ersticken droht. "Liebe Politiker, macht es den Unternehmern bitte nicht so schwer, Tirol zu lieben. Jahr für Jahr gibt es ein Mehr an Bürokratie, doch irgendwann muss genug sein", fordert der Präsident.

In Tirol haben wir zum Glück auch einiges auf der Haben-Seite zu verbuchen: Unsere Wirtschaftsstruktur verleiht uns mit ihrer Breite und dem ausgewogenen Branchenmix eine hohe Standfestigkeit. Darüber hinaus hat die Landesregierung wichtige Impulse gesetzt – vom Breitbandausbau über die Arbeitsmarktförderung neu und Förderungen für Lkw-Umrüstungen bis hin zum niedrigsten Schuldenstand aller Bundesländer. Der größte Bonus im Land besteht darin, dass wir bei uns in Tirol ein intaktes Gesprächsklima zwischen Land und Wirtschaftskammer haben. Die Spartengespräche letztes Jahr haben gezeigt, dass Veränderungen mühsam, aber bei entsprechendem Willen machbar sind. Wir müssen in Zukunft diesen politischen „Brückenschlag“ weiter vertiefen – Arbeitsplätze können letztlich nur die Betriebe schaffen.

Nachhaltigkeit umfassend praktizieren

"Ich wünsche mir weiters einen ganzheitlichen Zugang zum Thema Nachhaltigkeit.
Ein wesentlicher Eckpfeiler dafür ist für mich der zügige Ausbau der Wasserkraft. Ich habe noch nie verstanden, warum Umweltbewegte jedem einzelnen Kraftwerk, das saubere Energie erzeugt, derartigen Widerstand entgegenbringen."

Top-Tirol-Umfrage: Deutlicher Warnschuss

Dieser Befund ist kein subjektiver, die Auswirkungen lassen sich in harten Zahlen und Fakten messen. Die Wirtschaftskammer hat in ihrer brandaktuellen Top-Tirol-Umfrage folgende Eckpunkte festgestellt:
Die Wirtschaft steckt in der Stagnationsfalle: Der Geschäftsklimawert ist mit 16 Prozent auf dem tiefsten Stand seit 2010. Nur mehr 21 Prozent der Leitbetriebe (Sommer: 34) erwarten eine gute Entwicklung.
Beim Wachstum ist nach wie vor die Handbremse fest angezogen: 2014 brachte gerade einmal ein Bonsai-Wachstum von 0,5 Prozent. Wir liegen damit hinter der (ebenfalls schwachen) Eurozone.

Wachstum lahmt

Das Wachstum lahmt, weil Investitionen fehlen: Der Staat spart (an der falschen Stelle), die Privaten sparen (weil kalte Progression und Gebührenerhöhungen die Löhne wegfressen) und die Betriebe sparen auch: Hohe Unsicherheit, schwacher Konsum, ausufernde Bürokratie lähmen Investitionen.
Und die Aussichten für 2015? Auch nicht rosig – Wachstum 0,5 bis 1 Prozent; die Arbeitslosenquote wird von 6,9 Prozent im Jahr 2014 auf bis zu 7,5 Prozen im Jahr 2015 steigen.
Dramatisch: Bereits 45 % der Leitbetriebe geben an, dass sich die Wettbewerbsfähigkeit im Land seit 2010 verschlechtert hat.
Wie gesagt: Die Krise ist noch nicht vorbei.
Eine Veränderung ist auch bei Steuern und Gebühren überfällig. Die anstehende Steuerreform wäre eine große Chance, eine Verbesserung zu erreichen. Wäre! Denn bisher sehe ich viel Ideologie, viel Taktieren, viel Streit. Mir fehlt der Mut zu Reformen, die Bereitschaft für ausgabenseitige Einsparungen und ein unternehmerischer Zugang zu den Finanzen.

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