125 Jahre Jubiläum
Das Grauen hinter dem Vorhang der Volksoper
Zu ihrem 125. Jubiläum setzt sich die Volksoper mit ihrer eigenen Vergangenheit in der NS-Zeit auseinander.
WIEN/ALSERGRUND. Große Jubiläen werden üblicherweise mit einem großen Fest, vielen Reden und fröhlicher Stimmung begangen. Das Team der Volksoper dachte sich, dass sie das 125. Jubiläum des Hauses am Währinger Gürtel etwas anders aufziehen: und zwar mit einer Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. In "Lass uns die Welt vergessen" thematisiert das Ensemble die Vergangenheit und erzählt die traurigen Schicksale jener Menschen, die zwischen 1938 und 1945 verfolgt, vertrieben und ermordet wurden.
Der niederländische Theater- und Filmregisseur Theu Boermans hat im Auftrag von Volksoperndirektorin Lotte de Beer für diesen Anlass eigens das Stück geschrieben. Die israelische Komponistin und Hausdirigentin Keren Kagarlitsky rekonstruierte die Partitur von "Gruß und Kuss aus der Wachau", ergänzte sie mit als „entartet“ gebrandmarkter Musik und eigenen Kompositionen. So entstand ein Stück, das die fröhliche Unterhaltung der Beneš-Operette zurück auf die Volksopernbühne bringt und ihr die kalte politische Realität der Nazi-Zeit gegenüberstellt.
"Wir befinden uns im Jahr 1938 an der Volksoper. Viele Mitglieder des Ensembles waren damals jüdisch. Während der Proben für die Operette 'Gruß und Kuss aus der Wachau' übernehmen die Nationalsozialisten in Österreich die Macht. Plötzlich waren diese Mitglieder und ihre Dienste nicht mehr erwünscht", erklärt Boermans.
Zwischen den Fronten
In der Uraufführung werden zwei Welten gegenübergestellt. "Einerseits die bunte Welt der Operette. Gleichzeitig sieht man den grauen Alltag, in dem schreckliche Dinge passieren. Diese Realitäten stehen nebeneinander und prallen auch aneinander", verrät Boermans, mit sonorer Stimme.
"Das Bühnenbild wurde von Bernhard Hammer entworfen und ihm gelingt es, diese zwei Parallelwelten auf der Bühne zu veranschaulichen", lobt der Regisseur die Arbeit seines Kollegen. "Im vorderen Bereich, spielt die Operette, sehr plakativ zum Publikum gewandt. Im hinteren Bereich ist eine andere Welt. Hier können wir in den Privatbereich der Akteure eintauchen, sehen ihr Zuhause, hören ihre Gespräche hinter der Bühne." Untermalt wird das Ganze durch alte TV- und Tonaufnahmen: "Damit bringen wir das Publikum zurück ins Jahr 1938 in diese unsichere und furchtbare Zeit", veranschaulicht Boermans den Gedanken dahinter.
Viele Menschen standen vor lebensverändernden Entscheidungen, so Boermans, der das Stück auf Grundlage des Buches "Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt. Aus der Volksoper vertrieben – Künstlerschicksale 1938" von Marie-Theres Arnbom geschrieben hat. "'Bleiben wir? Gehen wir, was müssen wir tun?' Die Menschen waren damals am Scheideweg", erklärt er weiter.
Nach einer ausgiebigen Suche stieß man lediglich auf einen Klavierauszug des ursprünglichen musikalischen Werkes "Gruß und Kuss aus der Wachau", begleitet von einem alternativen, "arisierten" Text. Die Dirigentin und Komponistin Keren Kagarlitsky rekonstruierte daraufhin die Jara Beneš-Partitur von diesem Werk, basierend auf dem Klavierauszug. Gleichzeitig gelang es dem Musikarchiv, den originalen gesungenen Text u. a. von Fritz Löhner-Beda wiederherzustellen.
In einem bemerkenswerten Ereignis wird diese Musik erstmals seit 1938 wieder im selben Saal erklingen, für den sie einst komponiert wurde. Kagarlitsky fügte zusätzliche Musik hinzu und integrierte Werke von damals verfemten jüdischen Komponisten wie Gustav Mahler, Arnold Schönberg und Viktor Ullmann in die Aufführung.
Spiegelwelt hinter der Bühne
Die Schicksale der damaligen Ensemblemitglieder gingen Boermans beim Schreiben und Konstruieren des Stückes nahe. "Fritz Löhner-Beda, der Verfasser von satirischen Operetten, die wir heute noch singen, wurde etwa im Konzentrationslager totgeschlagen. Anderen gelang die Flucht, und manchen sogar der Start einer großen Karriere", gibt er einen groben Überblick über die vielen Einzelschicksale.
„Dass die grausamen Ereignisse in Israel und Gaza das Thema des Stücks, Ausgrenzung und Rassismus, in ein neues, noch komplexeres Licht rücken, ist mir sehr bewusst. Was ich mir wünsche, ist, dass sich das Publikum im Nachhinein die Frage "Was hätte ich getan?" stellt und es so zum Nachdenken und Diskutieren angeregt wird. "Es geht um Solidarität. Wie handeln wir, wenn gewisse Leute ausgegrenzt werden und eine politische Mehrheit sich daran beteiligt? Schaut man zu, oder wie verhält man sich?", wirft er eine große Sinnfrage auf.
Tickets (ab 30 Euro) gibt es unter www.volksoper.at
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