Flaschenpost vom Großvater

Dr. Robert Streibel. | Foto: privat

Wer würde nicht gerne mit dem Großvater sprechen über den Krieg, die Zeit davor, die Gefangenschaft? Es braucht keine spiritistische Begabung, um auch heute noch den Kontakt zu pflegen, denn es gibt eine Flaschenpost, die ohne Meer und Fluss auskommt und vergessen zwischen Dokumentenmappen, oder in einer Schachtel mit Ansichtskarten lagert. Gemeint sind Briefe, Feldpostbriefe. In den vierziger Jahren waren tausende Beziehungen bloße Brieffreundschaften, Wartezeiten zwischen den Briefen inklusive, um noch irgendwie zu wissen was der Mann oder Freund an der Front weiß, welcher Brief vielleicht verloren gegangen ist, waren die Briefe durchnummeriert. Hast Du 15 und 16 schon bekommen?

Ein Leben zwischen den Zeilen, zwischen Grußformeln wie eine Gebetsmühle wiederholte Beteuerungen, dass der andere aufpassen möge, dass an ihn gedacht wird. Das soll ein Gespräch sein? Briefe und Tagebücher haben den Vorteil der Unmittelbarkeit, der Ausdruck und die Stimmungen sind festgehalten unumstößlich und kann nicht umgedeutet werden. Das Heil Hitler am Ende der Karte pickt und kann wohl nicht mit Anpassung und Zensur erklärt werden.

Was geschrieben ist, gleicht dem Abdruck eines Dinosauriers, die Spur kann und muss gelesen werde können. Wer mit dem Großvater reden will, der muss sich heute auf die Suche nach der Flaschenpost machen und dann zu recherchieren beginnen, in welcher Einheit er gedient hat und was auf dem Weg dieser Einheit alles passiert ist. Und dann gilt es die Briefe zu lesen, Kurrentschrift ist sicherlich vonnöten, aber mit ein wenig Übung zu erlernen. Wort für Wort erschließt sich eine Welt, diese Welt muss erarbeitet werden. Glückstreffer sind garantiert, wenn die nötige Fantasie des Lesenden im Spiel ist. Das Gespräch wird wohl keine eindeutige Wendung nehmen, wird Fragen aufwerfen und viele Antwortvarianten bieten.

Das Schweigen ist hier kein beredtes, sondern eines für das noch nicht die richtige Tür gefunden wurde, solange tappen wir im Dunkeln und mutmaßen. Manches Mal ist es klar. Manche beherrschten die Sklavensprache, damit ist jene Technik des Redens und Schreibens gemeint, die auch unter einer Diktatur ein Gespräch erlaubt. Im Zuge meiner Recherchen zur Geschichte der Stadt Krems in der Zeit des Nationalsozialismus bin ich auch auf den Briefwechsel von August Vakrcka und Louis Mahrer, teilweise waren auch die Brüder Karl und Leopold Mörwald in diesen Briefwechsel involviert. Alle waren in den 30er Jahren in der Sozialistischen Jugend und sind nach 1934 zur KPÖ gewechselt.

Wenn Sie schreiben: „Unser Führer hat immer recht: tu comprends“, so ist nicht Adolf Hitler gemeint. Wenn der Satz fällt, „Es ist schön, dass unsere Jugend Ideale hat und sie auch mehr und mehr gewinnt“ und von „guten Freunden“ geredet wird, da die Zeit auch viel Tätigsein erfordert, so ist dies keine Anspielung auf die HJ oder der BDM gemeint. Unangreifbar für die Zensur ist der Satz, der auf die Versorgungslage Bezug nimmt „Soweit ist es aber noch nicht, denn ein 1918 werden wir ja nie wieder erleben. Das wissen wir, man hat es uns gesagt.“ Widerstand zwischen den Zeilen, kleine Hinweise, um sich noch der Freunde gewiss zu sein.

Dies ist eine Möglichkeit einer Flaschenpost, eine andere Variante konnte ich bei einer Recherche in Wien in der Gemeindebausiedlung Lockerwiese entdecken. Zwei Familien stellten mir jeweils einen Packen mit Feldpostbriefen zur Verfügung. Beide Männer sind im „Osten“ gefallen, Oskar K. ebenso wie Rudolf R. Durch Monate hindurch träumte Oskar mit seiner Frau Herma von der neuen Wohnung, die die Familie mit dem kleinen Wolfgang beziehen würde. Oskar zeichnete Grundrisse, überlegte, wo welche Möbel wohin zu stellen seien, lange bevor überhaupt klar war, ob sie überhaupt eine Wohnung bekommen würden. Bei der Wohnungseinrichtung und wo billige Möbel zu bekommen seien, berichtete Oskar von Tipps, die er von Kameraden in seiner Einheit bekommen habe.

„Wie geht es Dir denn, mein goldiges Frauchen, kann mir denken, dass Du jetzt durch die Wohnungssuche immer recht viel zu tun hast. (…) Wegen der Möbel versuche den gangbaren Weg, den ich Dir vorgeschlagen habe. In meinem letzten Brief, festzuhalten und trachte, dass sich da bald etwas machen lässt. Nehme Dir das Fräulein im 2. Bezirk fest vor, denn ich bin sicher, dass die etwas weiß und bei etwas Willen auch rasch alles zur Hand hat, was wir brauchen. Auf diese Art können wir rasch zu einer schönen Wohnungseinrichtung gelangen. Einige der Kameraden hier haben es genau so gemacht und sind zum Teil schon nach 3-4 Wochen zu einer vollkommenen Wohnungseinrichtung gekommen. Teilweise haben sie sogar Vollnußholzmöbel bekommen. Einer ist darunter, der hat ein komplettes Schlafzimmer aus kaukasischer Nuß (Vollholz) um 350 RM. Bekommen. Das Zimmer bestand aus 2 Betten, 1 Kasten 3-teilig, 1 Kasten 2-teilig, 2 Nachtkästchen, 1 Psyche, 1 kleines Tischchen und 2 Polstersessel sowie 1 Hocker.“

Wer die Hintergründe nicht kennt, würde dem nicht viel Bedeutung beimessen. Zwischen den Zeilen liegt die Wahrheit, liegt die Realität des Jahres 1939. Da viele jüdische Familien ihre Wohnungen verlassen müssen, ist es leicht zu billigen Möbeln zu kommen.

Herma berichtet, dass sie das Fräulein im 2. Bezirk nicht mehr angetroffen habe. Einige Briefe resümiert Oskar: „Wenn die Sache mit dem Möbelkauf durch das Frl. im 2. Bezirk so steht, so fällt dies selbstverständlich aus. Es hat keinen Sinn, immer Ansehen und Namen zu gefährden. Also wenn es nicht geht, so eben auf realen d.h. normalen Weg.“ Auch hier stellt sich die Frage, ist es nicht gut, Möbel bei Juden billig zu kaufen oder sind dies Möbel, die direkt von jüdischen Mietern gekauft werden. Eine eindeutige Entscheidung, die Möbel auf dem normalen Weg zu kaufen gab es, wie dies zu interpretieren sei, dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Faktum ist, die Vertreibung der jüdischen Familien war bekannt und jeder zog seine Schlüsse und versuchte seine Chance, das beste aus der Situation zu machen. Oskar fällt, aus der großen Wohnung wird nichts und die alleinerziehende Mutter bekommt eine Zweizimmer Wohnung in der Lockerwiese in Hietzing.


Rudolf R. war ein begeisterter Filmamateur und nahm seine kleine Filmkamera an die Ostfront mit. In vielen Briefen bittet er seine Frau Melanie, ihm Filme zu schicken, da er so viele interessante Motive zum Festhalten habe. Zwei Filme schickt er nach Hause, die Familie borgt sich einen Filmapparat aus, eine Leinwand und in der kleinen Wohnung in der Josef Schustergasse in Wien Hietzing kommen die Familie und die Freunde zusammen und sehen den kurzen Film von Rudolf. Dass Rudolf ein kleines Kind beim Laufen gefilmt hatte, offenbar eine Familie, bei der er einquartiert war, weiß seine Frau richtig zu interpretieren, da sie zu diesem Zeitpunkt schwanger ist. „Du übst wohl schon“. Im April 1941 berichtet Rudolf:

„Nun bin ich wieder hier eingelangt. Kannst dir gut vorstellen, mit welchen Gefühl ()wieder unter den Polaken. Auf der Vermittlung bin ich nicht, sondern vorläufig der Kompanie zugeteilt worden doch ist das ja ziemlich gleich, jetzt heißt es in erster Linie, sich eingewöhnen die Juden hat man nun zum größten Teil ausgewiesen zum anderen Teil in einem Stadtteil zusammengefasst, aus dem sie nicht heraus dürfen; das ist schon eine Besserung, wenn man diese Gestalten nicht immer vor dem Augen hat, aber sonst ist hier noch derselbe polnische Dienst, nun weißt du, wie es mir geht und wirst hoffentlich beruhigt sein.“ Auch ein Antwortbrief ist erhalten, in dem wird auch eine der privaten Vorführungen thematisiert.

„Was sagst Du dazu, Deine Filme habe ich schon gesehen, der Neffe von Fr. G. hat nämlich einen Vorführungsapparat und eine schöne Leinwand, der brachte alles mit und gestern hatten wir Vorstellung. Papa und Mama sind begeistert davon, wir haben uns die Filme gleich einen jeden 4mal vorführen lassen. Leider hast Du aber eine Menge davon unterbelichtet z.B. die Juden waren ganz dunkel; dann wo ihr (…) arbeitet und einer läuft mit dem Wagerl, schade das war alles dunkel, das Kind dafür war sehr gut, das war wirklich sehr natürlich. (…) essen tu ich wie ein Holzknecht, war bei Prochaska, das fiel auch dem Fredi auf. Frau Reiter, sie werden jetzt aber wampert.“

Die Juden waren unterbelichtet, schade und im nächsten Satz schreibt die Frau wie groß ihr Appetit ist und wie rundlich sie geworden ist. Eine Flaschenpost aus dem Jahr 1941. Wer würde dies heute so noch erinnern, so erzählen, wer wüsste noch, wie selbstverständlich die Ausgrenzung war, wie schnell in einem kurzen Film die Personen als Juden identifiziert waren, wie selbstverständlich das „Wegsperren“ war und welche Erleichterung dies mit sich gebracht habe, da man so diese „Gestalten“ nicht mehr sehen musste. Ein Gespräch mit dem Großvater, ein Gespräch mit der Großmutter sind möglich, vielleicht finden auch Sie eine Flaschenpost.

Der Abschnitt über den Briefwechsel aus Krems ist im Buch „Krems 1938-1945. (Verlag der Provinz im Herbst 2014, 476 Seiten € 38,-) nachzulesen. Der Briefwechsel der Bewohner der Lockerwiese in Wien Hietzing wird Teil einer Geschichte der Gemeindebausiedlung Lockerwiese sein, das Buch erscheint im Echomedia Bucherlag 2014.

Dr. Robert Streibel, geb. am 27.1.1959 in Krems a.d. Donau, Studium in Wien (Geschichte, Germanistik, Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte), Dissertation am Institut für Zeitgeschichte. Seit 1987 im Verband Wiener Volksbildung für PR und Öffentlichkeitsarbeit, seit 1999 Direktor der Volkshochschule Hietzing. Forschungsprojekte zu Nationalsozialismus, Judentum, […]

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