5 Minuten Wien: Zehn Stufen zum Lift
Endlich Feierabend! Jetzt aber nichts wie nach Hause. Schnellen Schrittes geht’s Richtung U-Bahn. Noch denke ich an den Ärger, der mich noch vom Büro verfolgt, und an die Probleme, die mich noch erwarten werden. So übersehe ich beinahe einen älteren Mann, der sich mir in den Weg stellt.
Jetzt bin ich verärgert und will schon zu schimpfen beginnen. Doch der Mann ist schneller: "Ich bitte Sie um Hilfe", so der gebrechlich wirkende Wiener. Schon will ich mir eine Ausrede einfallen lassen. Schließlich habe ich auch meine Probleme, bei denen ich keine Hilfe bekomme. Also hole ich Luft, um zu erklären, dass ich wirklich nicht jeden Menschen glücklich machen kann.
Da erklärt er mir der Fremde sein Problem: Er möchte gerne seine Frau nach Hause tragen. Sie sitzt im Rollstuhl, ist krank, kann kaum gehen und schon gar keine Treppen steigen. Der Weg zum Aufzug in die eigene Wohnung führt aber über rund ein Dutzend Stufen. Seine Frau alleine die zwölf Treppen hinauf zu tragen schaffe er nicht.
Natürlich nehme ich mir die nicht einmal fünf Minuten Zeit, um zu helfen. Aber was macht der alte Mann morgen und übermorgen? "Ach, ich finde immer jemanden, der mir hilft", gibt er sich optimistisch. "Sie sollten nicht glauben, wie hilfsbereit die Wiener sind."
Als Dank für meine helfenden Hände möchte er mir zwei Äpfel schenken, die er gerade beim Billa nebenan als "Träger-Lohn" gekauft hat. Natürlich lehne ich beschämt ab. Mein Geschenk habe ich bereits erhalten: Meine Frau und ich kommen mehr als ein Dutzend Stufen ohne Hilfe hinauf. Und ich nehme mir vor, morgen wieder nach dem alten Mann Ausschau zu halten.
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