DER BRIEF - Ein Kurzkrimi von Norbert Stöckl

Geliebte!

Lange habe ich überlegt dir diesen Brief überhaupt zu schreiben. Macht es denn Sinn, wo ich doch weiß, dass dein Sohn die Post für dich öffnet? Mein Gott, alt sind wir geworden und trotzdem verspüre ich noch immer die Sehnsucht nach deinen zarten Händen, wie du sie mir stets liebevoll auf die Schultern gelegt hast.
Erinnerst du dich noch an unsere allererste Begegnung? Ein wenig verwundert hast du mich damals angesehen, als ich dich mit meiner Jugend überraschte. Dein streng zu einem Knoten gebundenes Haar glitzerte im Schein der kleinen Schreibtischlampe während du mit meinen Eltern sprachst. Ein himmlisches Gefühl, dich so betrachten zu dürfen. Diese grazile Figur, mit den langen, überkreuzten Beinen, versteckt unter der viel zu spartanischen Uniform, deiner damaligen Position entsprechend. Wie habe ich dich nur bewundert, deine überlegene Haltung meinem Vater gegenüber, dem großen Patriarchen. Als hätte er dich am liebsten gleich genommen, so waren seine Blicke auf dich gerichtet, trotz Anwesenheit meiner Mutter. An diesem Tage wurde ich also in deine Obhut übergegeben und ich habe keinen jemals bereut.
Die wöchentlichen Stunden mit dir, ohne jegliche Offenbarung vor all den anderen. Du wolltest es anfangs nicht wahrhaben, hast deine Gefühle unterdrückt und mich somit gezwungen deine Aufmerksamkeit zu erlangen. Nachts auf der großen Treppe, nur mit meinem Nachthemd bekleidet, wieder und wieder darauf wartend endlich von einer der Aufsichtspersonen erwischt zu werden. Deine Bestrafung mit dem Rohrstab hat mein Verlangen nur noch verstärkt, so wie auch du bei jedem Hieb immer unsicherer wurdest. Der erste Kuss, die zarte Berührung deiner Lippen, wie sie langsam über meine Stirn wanderten. Du hattest schreckliche Angst, deine Empfindungen könnten alles zerstören. Aber ich habe nicht aufgegeben - solange, bis es endlich geschah.
Die warme Frühlingsbrise streifte über unsere nackten Körper als wir eng umschlungen im deinem Bett, gleich neben der Internatsleitung, lagen. Wir hatten uns geliebt, wie ich es mir in den kühnsten Träumen nicht ausmalen hätte können. Den Kopf auf deinen Busen geneigt blickte ich in deine glänzenden Augen und strahlte vor Glück, unbedacht all derer, die noch alles zerstören würden. Ja doch, für dich stand damals sehr viel auf dem Spiel. Aber du hattest die Macht und musstest auch nie an meiner dir uneingeschränkter Ergebenheit zweifeln.
Wie schön hätte doch alles sein können, wäre da nicht dieser verdammte Brief aufgetaucht, der dich doch tatsächlich beschuldigte ein unsittliches Verhältnis zu haben. Ich bin mir sicher, dass es die alte Geigerin war. Sie hatte doch schon lange auf deinen Leitungsposten gespitzt. Diese schreckliche Frau, mit ihren scheinheiligen Grundsätzen.
Ich denke noch oft an unseren letzten Abend. Anders als sonst hast du mich damals nur gehalten und schrecklich geweint. Von deiner Versetzung nach Linz hast du mir erzählt und dass wir uns in den Ferien würden sehen könnten. Von wegen, es war das letzte Mal und ich habe dich nie wieder gespürt. Warum hast du mich damals nur belogen, mir meine Träume zerstört - doch nicht wegen ihm, den ehrenwerten Herrn Grafen. Er war es doch gewesen, der beim Stiftungsrat für dich interveniert und damit deine Versetzung ermöglicht hatte. Du hast mich ja so enttäuscht!
Ein leichtes Leben hatte ich zukünftig nicht. Geschlagen und gedemütigt, vor den anderen Mitschülern - die alte Geigerin hat mich letztendlich gebrochen.
Oh Lisbeth, warum hast du mich damals nur verlassen? Ich liebte dich, war dir das etwa nicht genug? Wie glücklich hätten wir beide doch werden können, ganz egal der 20 Jahre wegen, die du mir voraushattest.

Und jetzt zu Ihnen Herr von Reichenberg, der Sie diese Zeilen wohl gerade lesen. Auch wenn Sie den Titel Graf nicht führen dürfen, so möchte ich Ihnen diese Ehre doch erweisen.
Ich bin sehr alt, von schwerer Krankheit geplagt, und womöglich schon morgen nicht mehr unter den Lebenden - so wie Ihr Vater, aber auch Ihre Frau Mutter, auf deren Grab ich diesen Brief nun deponiere.
Lisbeth, Gräfin von Reichenberg, die Frau meiner Träume hatte doch tatsächlich diesen Aristokraten geheiratet. Für mich brach eine Welt zusammen, als ich es kurz nach meinem Abitur erfuhr. Natürlich von der Frau Geiger, die sich darüber königlich amüsierte.
Haben Sie, werter Herr Graf, schon einmal wirklich geliebt? Ich spreche hier nicht von gesellschaftlicher Beziehung, Gewohnheit oder gar einer Affäre - nein, ich meine die richtige Liebe, ganz tief im Herzen drinnen, deren Sehnsucht man nicht mehr entsagt.
Ich habe sie erlebt, mit Ihrer Frau Mutter, und darum fuhr ich nach Linz.

Wie Sie wissen hatten 1955 selbst Aristokraten fast keine Dienstboten mehr, und so empfing sie mich persönlich, in Abwesenheit Ihres Vaters.
Ich erinnere mich noch genau, wie Lisbeth kreidebleich erstarrte, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Vor Freude sprang ich auf sie zu und warf mich ihr an den Hals. Ich küsste sie und drückte sie ganz fest an mich - endlich hatte ich meine Angebetete wieder!
Doch anstelle zu erwidern, riss sie sich von mir los und rannte ins Haus zurück. Die Treppe hinauf, stürmte ich an ihr vorbei und versperrte ihr den Weg. Das Weinen eines Säuglings erfüllte plötzlich den Raum. Wie hatte Lisbeth mir das nur antun können - ein Kind, wo wir beide doch nie…?
Zornig packte ich sie am Arm und stieß sie die Stufen hinunter.

Nun kennen Sie also die Wahrheit über den Tod Ihrer Mutter. Es war kein Unfall gewesen, sondern Mord!
Leider haben Sie sie nie kenngelernt und das bedaure ich sehr. Obwohl ich nicht weiß, wie Lisbeth für Sie empfunden hätte, wo doch ihre wahre Neigung bis heute noch ein Geheimnis war.

Verzeihen Sie mir nicht, aber gedenken Sie dieser Frau mit Ehrfurcht!

Für dich, Lisbeth
Deine Konstanze Lebusch

Ihr/Euer NorbS

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