"Ich kann nicht umhin, meinen Figuren beim Leben zuzusehen"

Jana Revedin veröffentlicht im Jänner 2014 ihren dritten Roman: "Frau hinter Hecken" (Verlag Styria premium) | Foto: Gernot Gleiss
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  • Jana Revedin veröffentlicht im Jänner 2014 ihren dritten Roman: "Frau hinter Hecken" (Verlag Styria premium)
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WOCHE: Wieviel Jana Revedin steckt in "Frau hinter Hecken", bzw. welches „Alter ego“ steht für welche Seite des Menschen, der Architektin, der Literatin?
Jana Revedin: Ich habe als Kind begonnen, Gedichte zu schreiben, dann jahrzehntelang Episoden und Momentaufnahmen, immer war ich ganz in diesen Geschichten, nahm zwar verschiedene Positionen ein, gewann verschiedene Perspektiven, doch blieb immer ich selbst. In meinem ersten Roman, „Lysis“, wagte ich mich an zwei tragende Figuren, die in den folgenden Romanen weiterleben. „Jana Revedin erfindet eine ganze Welt“ schrieb ein sonst sehr verhaltener deutscher Kritiker, „ihre Figuren sieht man täglich über die Straβe gehen“. So ist da Ted, der mein Architekten- und Theoretikerleben lebt und um seine Visionen kämpft, aber auch Sylvie, die Poetin, die beobachtet, zuhört, still sein kann - und dann ihre Geschichte erzählt. Als ich vor fünf Jahren begann, „Lysis“ zu schreiben, war Sylvie eher eine Nebenfigur. Heute lebe ich ihr Leben und schaue Ted „draussen in der Welt“ zu.

Ihre neue Figur in der „Frau hinter Hecken“ ist Isolde Schwartz, eine Frau, die an sich selbst zerbricht, obschon kaum einer ihren Zerfall bemerkt. Burn-out, Medikamentensucht, Alkohol wird hier thematisiert. Wieviel von Ihnen steckt in Isolde Schwartz?
Alles Leiden, alle Selbstzweifel, alle Zerbrechlichkeit, die wir uns sonst verbieten. Ich verstehe diese Figur von Grund auf und kann doch ihrer Selbstzerstörung nicht zustimmen. Die Geschichte, die ich erzähle, ist mir geschehen, es gibt Isolde Schwartz und es gibt viele, ja unzählige solcher feinfühliger und am herrschenden Leistungszwang zerbrechender Menschen, die lieber flüchten und sich aufgeben, als die Last und die Erwartungen jedes einzelnen Tages zu ertragen. Sylvie schaut dieser Frau eine Woche lang beim Leben zu, fragt nach, unbequeme Fragen. Als Isolde Schwartz erkennt, dass auch Sylvie eine Verletzte ist, unheilbare Wunden trägt, gewinnt ihr eigenes Leben neuen Wert.

Wie schon in „Lysis“ und erst recht in „Den Haselweg hinauf“, verquicken Sie Ihre Arbeit, Ihre Theorien mit der Dichtung. Ist der Roman für Sie ein Mittel, um mehr Menschen für Ihre Architekturphilosophie zu begeistern?
In meinen Romanen leben die Figuren ihr authentisches Leben und da gibt es keine Grenzen: Ihre Arbeit schwingt als Auftrag durchs Leben. Ted lebt seine begeisterte Suche nach gemeinschaftlich gestaltetem Lebensraum Tag für Tag, er recherchiert, erprobt, wagt groβe Wagnisse, sieht sich glückhaft bestätigt und auch immer wieder tief enttäuscht, beginnt von vorn. Sylvie geht einen Schritt weiter, von den Lebensräumen zu den menschlichen Innenräumen. Das scheint ein kleiner Schritt und ist doch eine Weltreise. Sie braucht Stille dazu und Einsamkeit. So wie ich auch.

Welchem Roman-Genre würden Sie ihre Romane zuordnen?
Bildungs- oder Entwicklungsromane habe ich immer geliebt. Gesellschaftskritische Literatur hat meine gesamte Denkweise geformt. Die „Frau hinter Hecken“ ist allerdings ein literarisches Kammerspiel. Sie vereint Ort, Zeit und Protagonisten – nicht geplantermaßen, sondern weil sich die Geschichte genau so zugetragen hat.

„Frau hinter Hecken“ spielt wie schon „Den Haselweg hinauf“ in einem globalen Szenario, allerdings mit dem Haselweg als lokalem „Anker“. Wird aus dem Haselweg und den dazugehörigen Protagonisten eine Reihe?
Meine Figuren existieren jetzt. Ich kann nicht umhin, ihnen beim Leben zuzusehen. Ich weiß jedoch nicht, wie sie sich entwickeln werden. Sie machen schlichtweg, was sie wollen.

Den Haselweg gibt es ja wirklich, warum haben Sie gerade diesen Ort an der Waldkante ober Wernberg als Lebensmittelpunkt gewählt?
Weil er sich mir angetragen hat, ein heruntergekommenes Bauernhaus in einem verwucherten Garten, das mir meine Mutter überantwortet hatte und wo ich sie und ihren zweiten Mann zu Tode pflegte. Hier habe ich einen Ort, der dauert.

Durch Ihre Arbeit, zunächst als Architekt, jetzt als Professorin und als Betreiberin ihrer LOCUS-Stiftung für nachhaltigen Städtebau sind Sie an vielen Orten der Welt „zu Hause“… Wo sind Ihre Wurzeln, geographisch, aber auch in Bezug auf Ihre Weltsicht. Und: Wie wichtig sind Wurzeln?
Ich habe von Kind an das Wandererleben gelebt, das der Familiengeschichte politisch Vertriebener entspricht, vom Südzipfel Deutschlands, in dem wir Preuβische-Rebellen-Kinder nie ganz heimisch wurden und wo ich doch das Glück hatte, in der „Entarteten“-Bande der Dix, Heckel, Bloch oder Hochhuth großzuwerden, die sich in Hesses Dorf am See zusammengerottet hatte. Dann Aufbruch nach Süd- und Nordamerika zum Studieren, nach Italien der Architekturtheorie wegen, nach Österreich der nachhaltigen Bautechniken wegen und schlieβlich nach Schweden, wo ich lernte, jegliches Entwerfen in kollektive Prozesse einzubinden.
Heute bin ich hier angekommen, den Haselweg hinauf. Da kann ich den Menschen nahe sein, die sich von mir kritische Impulse, aber auch schlichtes Zuhören, eine verlässliche Haltung erwarten. Ein paar Wurzelchen haben im Garten schon Halt gefunden.

Wurzeln sind auch die „Wurzel“ Ihrer Theorie der „radikanten Stadt“, dem Thema ihrer neuen Architekturtheorie, die im April 2014 in Paris erscheinen wird. Was ist eine radikante Stadt?
Eine Stadt, die sich nicht mehr „über die Köpfe der Menschen hinweg“ am Reiβbrett plant, sondern auf die Bedürfnisse einer Gesellschaft im Wandel eingeht, sich weniger neu baut als neu denkt und nachverdichtet, sich flexibel und attraktiv macht. Städte haben sich bis zur Industrialisierung in Symbiose mit ihrem lebenserhaltenden Umland stets selbst getragen, sowohl energetisch als auch räumlich, heute müssen wir das Modell der Petrolpolis des Konsumzeitalters überwinden, die gewissenlos Ressourcen verbrauchte und maβlos Abfall und Abgase produzierte. Mein Modell der Ecopolis kehrt zurück zum lebenstragenden Kreislaufmetabolismus, zu einer Aufwertung von „Land“ und „Hinterland“. Fundamental ist eine bahnbrechende Innovation im öffentlichen Verkehr und im Teilen von Werten und Diensten.

“Die radikante Stadt. Warum nachhaltige Lebensräume wie Efeu wachsen“ ist der Titel des Buches zur Theorie; warum Efeu?
Radikante Pflanzen sind die, wie das Efeu, die über viele Wurzeln Halt und Nahrung finden. Sie sind bescheiden, doch beharrlich, überleben auf jedem Unter- und Hintergrund, wandern rhizomierend über weite Strecken. Gestalterisch ist ihnen kein Werk je abgeschlossen, sie beziehen den Betrachter und Nutzer ein, ganz wie Eco der zeitgenössischen Kunst zu solch „Open Work“ riet. Sloterdijk definiert den radikanten Geist als den einzig freien… Lebensräume, die sich neuen nomadischen Lebensmodellen anpassen wollen – wir leben zu Zeiten der größten Völkerwanderung der Menschheitsgeschichte und sind auch virtuell ständig „auf Reisen“ – brauchen heute diese neue, organische Morphologie, diese bezaubernde Unfertigkeit, dieses Leicht-Sein.

Was darf, was muss Architektur, um nachhaltig und sozial sowie künstlerisch anspruchsvoll bzw. einzigartig zu sein? Oder anders gefragt: Was muss Architektur, um den Menschen zu dienen, um, wie Sie fordern, ein Werk des Menschen für den Menschen zu sein?
Sie muss einfach wieder vom Menschen und seinen echten Bedürfnissen ausgehen. Der Architekt muss sich als Zuhörer, als Begleiter neu definieren, der „Star“ hat ausgedient. Bestand analysieren, die Geschichte und den kulturellen Kontext „von innen“ verstehen, gute Beispiele diskutieren, schlieβlich die Menschen in gemeinsame Gestaltungsprozesse involvieren, das sind die vier Phasen meiner radikanten Methode, gleich ob es im konkreten Fall, im kollektiven Lebensraum nun Ökostrom oder Stadtgrün, reversible Bauformen, Recyclingdesign oder Transportmodelle zu gestalten gilt.

In einer viel gesehenen Einführungsvorlesung zu ihrer Meisterklasse in Nachhaltigem Städtebau sagen Sie zu Ihren Studenten: „Wenn Sie unsere Gesellschaft wirklich verändern wollen, bauen Sie gar nichts mehr!“ Provokation oder Faktum?
Hoffnung.
Interview: Christian Lehner, www.kultur-arbeiter.at, für die Kärntner WOCHE

Buchpräsentationen, Lesungen:
Jana Revedin präsentiert ihren neuen Roman „Frau hinter Hecken“ am 28. Jänner, 19 Uhr, in der Buchhandlung Heyn in Klagenfurt, am 30. 1., 19 Uhr, in der Alpen Adria Mediathek, Villach.
Nach „Den Haselweg hinauf“ (2011) ist es der zweite Roman, der im Verlag Styria erscheint; der Debütroman „Lysis“ ist im Wieser-Verlag erschienen. Ebenfalls bei Styria: „Altes Handwerk in Venedig. Die Lagunenstadt neu entdeckt“.
"neuebuehneSalon", 1. April, 20 Uhr, neuebuehnevillach: „Die Frau hinter Hecken“: Jana Revedin liest aus ihrem neuen Roman, mit Piano-Jazzperformances vom Feinsten: Tonč Feinig Solo

„Frau hinter Hecken“:
Eines Tages bekommt Sylvie unangemeldeten Besuch. Isolde Schwartz, eine international anerkannte Philosophin, nimmt innerhalb nur eines Tages ihr Leben in Beschlag und zieht sie in einen Strudel von Erinnerungen und Ängsten. Sylvie entdeckt Schritt für Schritt, warum Isolde Schwartz von ihrem so glanzvoll scheinenden Weg abkam und sich nun in ihrem Haus hinter hohen Hecken versteckt. Sich in Lügen verstrickt, ihr Leben wegwirft. Beinahe.
Jana Revedins neuer Roman ist ein literarisches Kammerspiel über die Selbstentfremdung durch herrschende, sich in Hetze erschöpfende Leistungsdiktate. Ein stilles Buch, das die Untiefen unausgesprochener Ängste, des drohenden Versagens behutsam auslotet und doch Platz für Hoffnung lässt.

Biographisches:
Jana Revedin, geboren 1965 in Konstanz, studierte Architektur und Städtebau in Buenos Aires, Princeton und Mailand, promovierte und habilitierte sich in Venedig und lebt heute, bei internationaler Forschungs- und Lehrtätigkeit, in Wernberg in Kärnten.
Die Gründerin des Global Award for Sustainable Architecture™ und der LOCUS Stiftung ist ordentliche Universitätsprofessorin für Architektur und Gestaltung am Blekinge Institute of Technology in Schweden, wo sie die Meisterklasse für Nachhaltigen Städtebau leitet. (Kürzlich mit dem „Prize of the European Schools of Planning“ ausgezeichnet).
Sie ist die UNESCO Deligierte zur Forschungs- und Bildungskommission der Internationalen Architektenunion und wissenschaftliche Expertin namhafter Stiftungen. Ihre neueste Architekturtheorie „Die radikante Stadt: warum nachhaltige Lebensräume wie Efeu wachsen“ erscheint im Frühjahr bei Gallimard Paris.
2009 begann sie ihre zweite Karriere als Literatin. Ihr dritter Roman „Frau hinter Hecken“ erscheint im Januar bei Styria premium.
www.revedin.com | www.locus-foundation.org

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