"Geburtstag feiert man nicht mit Vitaminsaft"
Philosoph Robert Pfaller ortet Genussfeindlichkeit und sagt, was das Leben erst zum Leben macht.
Robert Pfaller ist Professor für Philosophie an der Universität für Angewandte Kunst in Wien. Als Gast von "Wissen schafft Kultur" spricht er am Mittwoch, dem 10. Oktober, um 19 Uhr im Stiftungssaal der Uni Klagenfurt über unsere Gesellschaft, die es verlernt hat zu genießen.
WOCHE: Aus welchem Grund verbieten sich Menschen heutzutage den Genuss?
PFALLER: Weil sie es verlernt haben, mit dem unguten Element umzugehen, das jedem Genuss unweigerlich anhaftet: Alkohol berauscht, Sex ist unappetitlich, Feiern ist Verschwendung etc. Dieses ungute Element kann man nur unter ganz bestimmten Bedingungen in etwas Großartiges verwandeln - unter einem geselligen Gebot, das zu uns sagt: „Sei kein Spaßverderber, komm, trink mit uns ein Glas!“ Auf sich alleine gestellt, wollen die Individuen nicht genießen. Vielen haben dann nicht einmal Appetit. Die zum Genuss notwendigen Bedingungen von Geselligkeit sind uns jedoch in den letzten 20 Jahren durch Privatisierung der öffentlichen Räume mehr und mehr verlorengegangen.
Ist es die zunehmende Anzahl an Verordnungen, Ge- und Verboten, die die Genussfeindlichkeit fördert?
Es ist eher die zunehmende Unfähigkeit der Individuen zum Genuss, die sie nach Verboten rufen lässt. Aber wenn man durch Verbote den Leute ständig das Gefühl gibt, unendlich verletzbar zu sein, dann beginnen sie auch, neue Verletzlichkeiten an sich zu entdecken, und ihre Genussfeindlichkeit wächst.
Schaffen Regeln nicht auch ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten?
Ja, leider. Und zwar ein trügerisches. Während Millionen von Menschen durch die neoliberalen Umverteilungen der letzten Jahrzehnte buchstäblich die elementaren Lebensgrundlagen verlieren, lenkt man ihre Aufmerksamkeit auf lächerliche Details, schürt ihren Neid und Ärger und macht ihnen eine künstliche Angst, vor deren Ursachen man sie dann durch Verbote zu beschützen vorgibt.
Sind es sogenannte Laster, die die "Zeit vor dem Tod" erst zu einem Leben machen? Warum?
Wenn wir wie erwachsene Menschen einsehen, das wir so und so sterben, und also nicht dauernd gesundheitspanisch an unserer Unsterblichkeit arbeiten, dann werden wir erst fähig, uns zu fragen, unter welchen Bedingungen ein Leben wirklich ein Leben ist. Und lebendig fühlen wir uns eben nur, wenn wir ab und zu etwas Ungutes zelebrieren. Man kann den Geburtstag eines Erwachsenen nicht mit Vitaminsaft feiern.
Viele Menschen "mäßigen" sich, oder kasteien sich sogar für die perfekte Figur, oder Gesundheit. Kann nicht der Weg dorthin (etwa Sport) oder das Ergebnis auch zu Genuss führen?
Auch das Ungute der Entbehrung lässt sich in etwas Großartiges, Lustvolles verwandeln. Jeder wirkliche Genuss aber zeigt sich an der Neidlosigkeit gegenüber anderen. Traurige Erscheinungen sind diejenigen, die sich selbst einschränken und dann andere dafür hassen, dass sie es nicht tun.
Welche Folgen hat anhaltende Genussfeindlichkeit auf Mensch und Gesellschaft?
Wir haben verlernt, das Glück des anderen als etwas solidarisch Teilbares zu erleben. Doch wenn der Andere glücklich, heiter, höflich, großzügig und elegant ist, ist das schließlich ja auch mein Vorteil. Ich kann davon direkt profitieren - und außerdem noch davon lernen.
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