Sebastian Kummer im Interview
"2030 fahren wir elektrisch unter der Lobau"
Ein Blick auf die Verkehrsentwicklung im Speckgürtel von Wien. Sebastian Kummer, Vorstand des Instituts für Transportwirtschaft und Logistik an der WU Wien, im Gespräch mit den Bezirksblättern.
BezirksBlätter: Gütertransport per Bahn versus Lkw, Klimaschutz versus Straßenbau. Sind Gegensatzpaare im Transportwesen praktikabel?
Sebastian Kummer: Eine Verlagerung des Gütertransports von der Straße auf die Schiene ist vor allem durch den KV (kombinierter Verkehr - also Schiff, Bahn, Lkw) möglich. Die Schwäche des Schiffs- und Bahntransports ist die sprichwörtlich letzte Meile, das sind in der Logistik die letzten 100 Kilometer. Die lassen sich oft nur per Lkw zurücklegen, denn neue Bahnanschlüsse für Unternehmen sind technisch anspruchsvoll und bei geringer Auslastung weder ökonomisch noch ökologisch.
BB: Welche Infrastruktur ist notwendig, um im Raum Wien den Bahntransport auszubauen?
S.K. Unser Institut hat in einer Studie die Zunahme des Güterverkehrs für das Jahr 2021 prognostiziert und lag damit richtig. Auch 2022 wird er weiter zunehmen. Kommt der Lobautunnel nicht, so bräuchte der Raum Wien zusätzlich zu den beiden Güterverkehrsterminals im Süden unbedingt einen im Norden. Allerdings reichen bereits heute die Gleise nicht aus, um genügend Personen- und Güterzüge zu fahren, also müssten etliche Kilometer neue Gleise gelegt werden. Eine Möglichkeit wäre ein kombinierter Normalspur-/Breitspur-Terminal, dies würde enorme Kapazitäten bringen. Der stößt aber schon im Vorfeld auf viel Kritik, nun ja ... schön ist so ein Terminal nicht.
BB: Wer für Klimaschutz eintritt, muss gegen den Lobautunnel sein. Wie ist Ihre Position zu dieser Aussage?
S.K.: Das Thema Lobautunnel wird in der Politik leider dogmatisch diskutiert, der Tunnel als Symbol der Klimakatastrophe verwendet. Klimaschützer fordern: ,Von der Straße auf die Schiene', ohne die Kapazitäten realistisch zu hinterfragen. Ganz nach dem Motto: ,Das wird schon irgendwie gehen.' Pragmatisch betrachtet haben sich die Faktoren in den vergangenen Jahren jedoch positiv für den Bau des Tunnels entwickelt, denn die Wirtschaft im Norden wächst ebenso wie die Bevölkerung. Und wirtschaftliche Prosperität ist ja gewünscht. Bremst man jedoch den Gesamtverkehr, bremst man auch die wirtschaftliche Entwicklung.
BB: Eine prosperierende Region ist also untrennbar mit wachsendem Straßenverkehr und damit CO₂-Ausstoß verbunden?
S.K.: Bei Prognosen zu CO₂-Ausstoß im Zusammenhang mit Straßenverkehr wird oft vergessen, dass die Automobilbranche gerade im technischen Veränderungsprozess steht. Spätestens 2035 werden keine Autos mit Verbrennungsmotoren mehr verkauft werden, die Autoindustrie stellt sich bereits um und die gesetzlichen Voraussetzungen werden ebenfalls dafür geschaffen. Der größte Engpass in diesem Szenario ist aus derzeitiger Sicht die Versorgung mit grünem Strom.
BB: Stichwort "rasante Veränderungen": Sind dann Straßenkonzepte wie eben der Ring um Wien tatsächlich noch zeitgemäß?
S.K.: Ministerin Gewessler liegt falsch, wenn sie von ,geänderten Voraussetzungen' spricht, denn die Fakten zur Klimaerwärmung sind unter Fachleuten mindestens so lange bekannt, wie der Plan des Lobautunnels. Nur in der öffentlichen Wahrnehmung ist das Klima-Szenario noch relativ neu. Der Ring um Wien mit der sechsten Donauquerung ist heute dringender notwendig denn je. Parallel dazu brauchen wir hochfrequente S-Bahnen und eine weitere U-Bahn-Linie. Beim Verkehr gilt wie am Finanzsektor: Je vielfältiger das Portfolio, umso besser.
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