"Endlich spürt er seine Eier!"
Gewalt mittels Waffengewalt bekämpfen. Den Versuch unternimmt das Theaterstück "Verrücktes Blut".
PÜRBACH (eju). "Endlich spürt er seine Eier!", kreischt Lehrerin Sonia Kelich außer sich vor Begeisterung, als der von allen gemobbte und gequälte kurdischstämmige Hassan endlich über sich und seine Angst hinauswächst und den "Franz" aus Schillers "Räuber" mit Inbrunst darzustellen beginnt.
Lernunwillig & bildungsfern
Was der Zuseher hier in einer an Gewalt reichen Handlung erlebt, ist das Resultat des ursprünglichen Versuches, Schüler für Literatur zu begeistern. Ein Versuch, der zu Beginn des Stückes von Nurkan Erpulat und Jens Hillje so angelegt ist, wie Unterricht im Regelfall abläuft. Wären nicht die Teenager mehrheitlich Moslems aus verschiedenen Ländern, die beiden Mädchen – eine mit, eine ohne Kopftuch – heillos in der Unterzahl, allesamt gefangen im vermeintlich vorgegebenen Rollenbild. In der Klasse herrschen Faustrecht und Verbrüderung: jeder kämpft für und gegen jeden und alle quälen in stiller Übereinkunft den Kurden Hassan. Übergriffe in brachial-verbaler und tätlicher Form steht an der Tagesordnung, orchestriert vom Ober-Macho Musa. Lernen hat hier keinen Platz, das muss die engagierte Lehrerin schnell erkennen.
Pistole ändert Machtverhältnis
Dann will es der Zufall, dass ihr eine Pistole, die Musa mitgebracht hat, in die Hände fällt. Ab dem Moment hat sie die Macht über die Horde, die sie als Geiseln nimmt. Nun steht Literatur am Programm, durch Waffengewalt erzwungen. Schillers "Räuber" eröffnen den Jugendlichen Schritt für Schritt, was in ihrem eigenen Leben schief läuft. Das Stück spart nicht mit Sozial- und Religionskritik. Kelich hinterfragt stellvertretend für die beiden Mädchen den Stellenwert der Frau im Islam. "Erklär mir, was ist eine Schlampe, Hakim? Nennst du deine Mutter auch Schlampe?", fragt Kelich und öffnet so den Jung-Machos Aug um Aug, unterbrochen von Gesangseinlagen mit Kärntner und Tiroler Volksliedern.
Religionskritik
Ein Stück, das Realität herzeigt, die man eigentlich nicht sehen will. Grandios dargestellt von jungen Schauspielern mit – wie man so schön sagt – Migrationshintergrund, die virtuos vom Burgtheaterdeutsch ins Deutsch mit "Tschuschenakzent" und in die jeweilige Muttersprache wechseln. Am Schluss Hassan: "Ich will weiterhin der Franz sein, nicht länger der Kanake!"
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