Kirchstetten
Das Gefühl einer Generation: BBC-Doku über W. H. Auden
W. H. Auden wiederentdeckt: Was er über das heutige politische Klima zu sagen wüsste.
WIENERWALD/NEULENGBACH. Freitag, 10 Uhr, Kirchstetten. Strömender Regen empfängt das Filmteam aus England: Location Manager für Filmteams im deutschen Sprachraum Genny Masterman hat Regisseur Adam Low und Produzent Martin Rosenbaum zu einem idyllischen Häuschen am Waldrand gebracht – erst einmal auf der schmalen Treppe den Kopf einziehen und hinauf auf den Dachboden. Keine andere als eine auf der ganzen Welt bekannte Adresse bietet nun Unterschlupf: Hinterholz 6. Bei uns ist "Hinterholz 8" bekannter, auch wenn Düringers Häuselbauer-Film weder in diesem noch einem anderen Hinterholz gedreht wurde.
Liebe auf den ersten Blick
... soll es für Wystan Hugh Auden gewesen sein und fortan über Jahre hinweg als Sommerresidenz gedient haben. Nach zahlreichen Literaturliebhabern aus der ganzen Welt schauen sich an diesem Vormittag Adam und Martin im Obergeschoß um, sie haben eine Mission: eine Dokumentation für die BBC („In A New Age of Anxiety“) über den wütenden jungen Mann der 1930er zu drehen, der für sein Hauptwerk, das epische Gedicht „The Age of Anxiety“ („Das Zeitalter der Angst“) über das Lebensgefühl seiner Generation, 1948 den Pulitzer-Preis erhalten hat. "London weather" stellt Bgm. Paul Horsak bei der Begrüßung fest. Und so werden erst die Drehorte begutachtet: Haus, Grab, Auto.
Premieren für den Regisseur
Nicht zum ersten Mal sieht sich Adam Low um, dennoch gibt es Neues zu entdecken: Als er 1981 seinen ersten Film über Auden drehte (die Biographie "The Auden Landscape"), hat er ein Haus betreten, das eben erst vom großen Schriftsteller verlassen schien, mittlerweile sind die beiden Räume als Gedenkstätte zur Besichtigung eingerichtet. Doch eines ist auch heute gleich: Kirchstettens ehemalige Kulturreferentin Maria Rollenitz beantwortet alles und wird den ganzen Tag nicht von der Seite des Filmteams weichen.
Nach einem Abstecher beim Grab am alten Friedhof wird Audens Auto inspiziert: Der gelbe VW-Käfer ist in Totzenbach untergestellt – die zweite Premiere für den Regisseur, er kennt den Pkw bisher selbst nur aus Filmen. Die Zeit hat dem Gefährt zugesetzt, einige Spinnweben zieren das Kultauto. Maria will diese und den Staub entfernen, das Auto wieder glänzen lassen. Martin lacht: Gründlichkeit und der typische Sinn für Ordnung sind hier nicht gefragt, die Patina ist willkommen.
Letzten Endes heißt es "Film ab"
Und endlich, der Himmel klärt allmählich auf und der Dreh beginnt. Aufgeregt sei sie nicht gewesen, verrät Rollenitz hinterher. Alle sind überaus zufrieden.
Was die Vizebürgermeisterin a.D. über den Käfer zu berichten wusste, ist in der Dokumentation am 28. September, dem „National Poetry Day“ (Tag der Poesie) und zugleich Vor-Todestag Audens, auf BBC2 zu sehen – bzw. bei uns live auf www.filmon.com.
Pulitzer-Preisträger in Hinterholz
Wystan Hugh Auden (geb. am 21.2.1907 in York) gilt als einer der bedeutendsten und einflussreichsten englischsprachigen Lyriker des 20. Jahrhunderts. Sein "Funeral Blues" wurde im Film "Vier Hochzeiten und ein Todesfall" zitiert. Die Suche nach einem Landhaus in einem deutschsprachigen Land, mit Opernhaus in der Nähe, verschlug ihn nach Hinterholz. Hier verbrachte er die Sommer von 1958 bis zu seinem Tod nach einer Lesung im Palais Palffy am 29.9.1973, schuf einen Teil seines Spätwerks und liegt am alten Friedhof begraben.
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