Wirtschaftsboss Leitl: "Wir müssen uns alle bei der Nase nehmen!"
Weg von Hektik hin zu Selbstfindung und mehr Zusammenhalt empfiehlt Wirtschaftsboss Christoph Leitl als Mittel für eine bessere Gesellschaft. – Ein Spontan-Interview anlässlich des 120. Geburtstages von Julius Raab, dem legendären "Staatsvertragskanzler" im WIFI St. Pölten.
Herr Präsident Leitl, Sie kritisierten in Ihrer Geburtstagsrede für Julius Raab, dass in der heutigen Gesellschaft wichtige Werte fehlen?
CHRISTOPH LEITL: „Hätten wir nur die Hälfte der Tatkraft, Entschlossenheit und des Mutes der Nachkriegszeitgeneration, würde es in unserem Land wahrlich anders aussehen.“
Warum findet man in Politik und Gesellschaft heutzutage so wenig Mut?
CHRISTOPH LEITL:„Weil die Menschen nicht mehr in sich ruhen. Zwei der wichtigsten Menschen die Österreich nach dem Krieg geprägt haben, kommen aus St. Pölten: Julius Raab und Kardinal Franz König Sie hatten ein inneres Orientierungssystem. Sie haben sich nicht abhängig gemacht von Oberflächlichkeiten, etwa der Schlagzeilen am nächsten Tag. Sie haben gewusst, was gut und wichtig für das Land ist, und haben dementsprechend gehandelt.“
Aber hat die Not nach dem Krieg nicht die Menschen zusammengeschweißt?
CHRISTOPH LEITL:„Ja, natürlich. Es heißt nicht umsonst, Not lehrt einen beten. Wünschen wir uns nicht, dass die Leute wieder durch Not bedingt beten lernen müssen. Aber sie sollten wieder Orientierung und Sinn finden, jenseits der Hektik und Oberflächlichkeit.“
Wie soll das in dieser Zeit funktionieren?
CHRISTOPH LEITL:„Man sollte seine Kraftquellen finden und nutzen. Der eine geht in die Berge, der andere besucht ein Konzert, man sollte sich Zeit für Wesentliches nehmen. Das heißt nicht heile Welt, die gibt es nicht. Aber man sollte wissen, wie man zu sich findet.“
Was machen Sie, um sich aufzuladen?
CHRISTOPH LEITL:„Ich verbringe den Sonntag in vertrauter, heimatlicher Umgebung. Das beginnt mit einem Besuch des Gottesdienstes, danach gehe ich ins Wirtshaus zum Stammtisch und rede mit den Leuten und den Nachmittag genieße ich mit meiner Familie. Das gibt mir Kraft.“
Aber es geht doch alles in eine andere Richtung, für die Jungen wird es immer schwerer.
CHRISTOPH LEITL:„Ja, drum muss man auch dagegen arbeiten. Es ist bedrückend zu sehen, das Tausende junge Menschen nach der Pflichtschule nichts mehr machen, die einfach programmiert sind, nicht erfolgreich zu sein. Schauen wir uns an, wieviele Leute in die Invaliditätspension flüchten, wie Burn-Out zu einem neuen Modewort für Krankheit geworden ist. Ich sage, da fehlt Lebensorientierung.
Wie kann man die wiederherstellen?
CHRISTOPH LEITL:„Wir brauchen wieder mehr Gemeinsamkeit durch Solidarität, Zusammenhalt und Verantwortung und wir müssen wieder mehr von Mensch zu Mensch kommunizieren. Da müssen sich alle bei der Nase nehmen. Manche kommunizieren mit der Maschine mehr als mit seinen Mitmenschen. Auch Vereine sind gefordert, junge Mensche aufzunehmen und ihnen eine Charakterformung mitzugeben.“
Was kann die heimische Wirtschaft dazu beitragen?
CHRISTOPH LEITL:„Sie kann regionalen Zusammenhalt stärken. Werte wie Fleiß, Ehrlichkeit, Engagement und Solidarität gehören gefördert. Die Wirtschaft ist nicht alles, aber die Grundlage für alles, zumindest was das Materielle betrifft. Und wir sollten gemeinsam gegen die Spekulanten auftreten. Die haben schon genug Schaden angerichtet. Das ist die Aufgabe, der sich Wirtschaft und Politik stellen müssen.“
Interview: Werner Pelz / Tel.: 0676 700 11 75
Zur Person
Christoph Leitl, 1949 in Linz geboren, ist studierter Sozial- und Wirtschaftswissenschafter und seit 2000 Präsident der Wirtschaftskammer Österreichs. Leitl bekennt sich bedingungslos zur Sozialpartnerschaft. Der Wirtschaftsbündler, der unter anderem im Baustoffhandel tätig ist, war von 1995 bis 2000 als oberösterreichischer Landeshauptmannstellvertreter auch politisch aktiv.
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