Die Turbo-Lore aus Hietzing
Wenn Lore Brandl-Berger über ihren Tagesablauf erzählt, meint man, ihr Tag hätte 72 Stunden
HIETZING. "Bitte herein! Wir sind eh gleich fertig. Sebastian kommt aus Amerika und ist ein Jahr bei mir. Jetzt hat er schon einen Zweier in Deutsch", erzählt Dr. Lore Brandl-Berger stolz, als sie sich wieder zu ihrem Nachhilfeschüler setzt. Vom Unterrichten versteht sie etwas, schließlich hat sie fast 40 Jahre lang am Gymnasium Wenzgasse unterrichtet: Deutsch, Turnen und die Theatergruppe. Heute ist sie im (Un-)Ruhestand, was für sie aber kein Grund ist, kürzerzutreten: Nachhilfestunden, Unterricht im Flüchtlingsheim, Bezirksrätin, Hietzinger Frauenspaziergänge – und vier Kinder hat sie auch. Am Unterrichten reizt sie nicht nur der Lernerfolg ihrer Schüler, sondern "auch die neuen Sichtweisen, die man vermittelt bekommt. Meine Schüler rege ich immer zum Denken an, sie mich aber auch", lacht sie. "Die Frau Professor fordert viel. Sie gibt mir aber auch das Gefühl, dass ich es wirklich kann", berichtet Sebastian vom Nachhilfealltag. "Man muss den Schülern etwas zutrauen, ihren Ehrgeiz wecken. Das ist die wichtigste Aufgabe als Lehrerin", sagt Brandl-Berger. Deutsch hat sie auch im Flüchtlingsheim im ehemaligen Geriatriezentrum Am Wienerwald unterrichtet, allerdings unter ganz anderen Voraussetzungen: "Jeden Tag kamen andere Menschen in meinen Kurs. Ihnen habe ich vor allem vermittelt, wie man selbst lernt und sich die Methodik der Sprache aneignet."
Heute ist sie als Bezirksrätin für die Grünen im ganzen Bezirk mit offenen Augen unterwegs: "Die Politik hat mich immer schon brennend interessiert, weil es viel zu verbessern gibt. Als ich noch an der Schule war, ist sich das aber einfach nicht ausgegangen", merkt die agile Frau an. Am meisten stört sie an der Politik, dass "es mehr darauf ankommt, wer einen Vorschlag macht als auf die Sache selbst".
Berühmte Frauen aus Hietzing
Besonders am Herzen liegen ihr die Hietzinger Frauenspaziergänge, die sie mit ins Leben gerufen hat: Von Senta Berger bis Katharina Schratt führt sie auf diesen Rundgängen quer durch den Bezirk zu den Lebensstationen berühmter Frauen. "Es gibt in der Geschichte viele Frauen, die Großes geleistet haben. Wir wollen auf sie aufmerksam machen", erklärt sie. Ob sie Hobbys habe? "Seit ich nicht mehr Turnen unterrichte, muss ich mich auch irgendwie bewegen. Deshalb gehe ich Tennis spielen, turnen und bauchtanzen", meint sie und fügt nach einem Seitenblick auf ihre vollen Bücherregale hinzu: "Und das Lesen."
In ihrer Wohnung beim Anna-Freud-Park, in der Brandl-Berger ihre vier Kinder aufgezogen hat, wohnte sie einige Jahre lang gemeinsam mit ihrer Cousine Heidi. "Sie war schon über 60, hatte Downsyndrom und konnte nicht alleine essen, als sie zu mir gekommen ist. Aber ich habe sie nicht nur gefüttert, sondern auch unterrichtet. Eines Tages hat sie angefangen, alleine zu essen. Und sie hat auch sonst riesige Fortschritte gemacht", erzählt sie. Heute wohnt Brandl-Berger mit zwei Mitbewohnern zusammen. Erika kommt aus Ungarn und beschreibt sie als "Turbo-Frau". Kein Wunder, bei dem Pensum, das sie auch im achten Lebensjahrzehnt Tag für Tag bewältigt.
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