Gesundheitsalarm Hollabrunn
Ärztemangel führt zu überfüllten Ambulanzen
Die Gesundheitssituation im Bezirk nimmt immer dramatischere Ausmaße an. Seit 2021 fehlt ein Lungenfacharzt, seit Jänner 2024 auch noch ein Hauarzt. Um eine einzige Kassen-Kinderärztin rauft sich der ganze Bezirk. Was allerdings steigt sind die Zahlen der Wahlärzte.
HOLLABRUNN.
"Wartezeiten jenseits von gut und böse, oft schafft man es nicht einmal telefonisch durchzukommen. Die Situation sowohl bei Fachärzten als auch bei Hausärzten ist katastrophal",
ist Sabine S. aus Hollabrunn verzweifelt. Der akute Mangel an Kassenärzten ist auch dem Präsident der Ärztekammer Harald Schlögel bewusst und er warnt davor seit Jahren: "Es ist daher wichtig, dass Kassenstellen attraktiver gemacht werden. Bietet die Gemeinde zusätzlich besondere Unterstützungen an, dies kann ein Mietkostenzuschuss sein oder es können barrierefreie Ordinationsräumlichkeiten oder sonstige Hilfen sein, gibt die Ärztekammer für Niederösterreich dies selbstverständlich bei der Ausschreibung an. Bei einigen Stellen führt dies zum Erfolg, andere Stellen bleiben über Jahre unbesetzt. Auch die vom Bund zugesagten 100.000 Euro als Anschubfinanzierung könnten helfen, Kassenstellen zu besetzen. Wenn wir den Mangel an Kassenärzt:innen aber nachhaltig beheben wollen, müssen wir nachhaltige Verbesserungen auf den Weg bringen. Die Tätigkeit als Kassenarzt – egal ob für Allgemeinmedizin oder als Facharzt – muss so attraktiv sein, dass jene, die diese aktuell ausüben, unbedingt weitermachen und neue Ärzt:innen ins Kassensystem einsteigen wollen. Dazu könnten etwa der Wegfall von Leistungslimitierungen, Bürokratieabbau oder ein allgemeines Dispensierrecht - also das Recht, dass Ärzt:innen verschreibungspflichtige Arzneimittel direkt an die Patient:innen abgeben dürfen - beitragen.“
Wettkampf um Ärzte
ÖVP-Bürgermeister von Hollabrunn Alfred Babinsky ist ratlos, wohin die Entwicklung führt:
"Unterstützung von Gemeinden würde in einen Wettkampf ausarten, wer mehr zahlt und liegt eigentlich nicht in unserem Wirkungsbereich. Die Nachfolge ist auf anderen Ebenen zu klären."
Auswirkungen auf Spitalsambulanzen
Das Angebot an Ärzten im Bezirk hat Auswirkungen auf das Krankenhaus Hollabrunn.
"Das Fehlen von niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten führt dazu, dass der Patientenstrom teilweise in die Spitalsambulanzen gelenkt wird und dadurch ein höheres Patientenaufkommen bemerkt wird",
berichtet der ärztliche Direktor des Landesklinikums Hollabrunn Rainer Ernstberger.
Norbert Horak aus Schöngrabern ist Arzt im Landesklinikum Hollabrunn (Internist und Allgemeinmediziner) und er kann den Trend bestätigen:
"Obwohl ich kein Experte im niedergelassenen Bereich bin, scheint ein Mangel an Ärzten offensichtlich zu sein. Die Dichte an Hausärzten ist einfach zu gering, besonders auffällig wird dies wochentags ab 12:00 Uhr sowie an Wochenenden. Die Patientenzahlen in den Krankenhäusern steigen kontinuierlich, Ambulanzen sind überlastet und die niedergelassenen Praxen können den enormen Bedarf nicht decken. Ein allgemeiner Ärztemangel besteht sowohl in den Krankenhäusern als auch bei den niedergelassenen Ärzten in allen Fachbereichen."
Nur ein Kinderarzt im Bezirk
Problematisch ist es auch bei den Kinderärzten. Nur eine einzige Kassen-Fachärztin gibt es im Bezirk Hollabrunn.
"Jeder der Kinder hat weiß, dass Kinder oft krank werden und man dafür nicht 30 Minuten Fahrzeit in Kauf nehmen möchte. Deshalb bleibt uns oft nichts anderes übrig als zum Hausarzt mit den Kindern zu fahren",
weiß Gerhard Müller aus dem Pulkautal.
Braucht Lösungen aus der Politik
SPÖ-Nationalrätin Melanie Erasim fordert Lösungen:
„Das Gesundheitspersonal ist seit Jahren massiv überlastet. Vor der Landtagswahl hat ÖVP-Landeshauptfrau Mikl-Leitner ein Wahlzuckerl nach dem anderen versprochen."
Um die Situation zu verbessern fordert die SPÖ mehr Ausbildungsplätze, eine Modernisierung der Berufsbilder nach internationalen Standards, eine kostenlose und gut entlohnte Ausbildung, eine Arbeitsplatzgarantie nach der Ausbildung, faire Bezahlung und lebbare Arbeitszeitmodelle.
Unterfinanzierung
Der Personalmangel in den Krankenhäusern ist teils dramatisch: "In den nächsten Jahren werden tausende Pflegekräfte in Österreichs Krankenhäusern fehlen. Fast die Hälfte des Pflegepersonals denkt aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen häufig über Kündigung nach", ist Erasim alarmiert. Die Schuld für die Pflege-Misere sieht sie bei der Landesregierung: „Der öffentlichen Gesundheitsversorgung werden über die Jahre Milliarden entzogen, um sie ihren Spenderinnen und Spendern in den Privatkliniken und Privatversicherungen zufließen zu lassen!“ Eine Aussage, die VP-Landtagsabgeordneter Kurt Hackl nicht nachvollziehen kann: "Erst vor wenigen Wochen wurde das Budget des Landes Niederösterreich präsentiert – von schwindenden Milliarden kann hier nicht die Rede sein. Denn mehr als die Hälfte des Budgets fließt in die Bereiche Gesundheit und Soziales, sogar mehr als in den Jahren zuvor“.
Rotes Kreuz ist tragende Säule
Eine große tragende Säule ist im Bezirk das Rote Kreuz. Mehr als eine Million Kilometer und über 23.600 Einsätze wurden 2022 zurückgelegt und bewältigt. Über 200 freiwillige Mitarbeiter stehen dabei der Bezirksstelle tatkräftig zur Seite. Gemeinsam mit den 14 hauptberuflichen Mitarbeitern und den derzeit 20 Teilnehmer-Innen des Freiwilligen Sozialjahres und Zivildiener sind sie im Gesundheitssystem im Bezirk Hollabrunn eine tragende Säule.
Zahlen, Daten, Fakten
EinwohnerInnen des Bezirks Hollabrunn (Quelle: www.noel.gv.at):
• Gesamt: 51.646 (25.593 Männer; 26.053 Frauen)
• Unter 15: 6.900 (3.504 m; 3.396 w)
• 15 – 60 Jahre: 28.934 (14.756 m; 14.178 w)
• 60 Jahre und älter: 15.812 (7.333 m; 8479 w)
ÄrztInnen der wichtigsten Fachrichtungen im Bezirk Hollabrunn (Quelle: www.arztnoe.at):
• Allgemeinmedizin: 28 mit Kassenvertrag; 13 ohne Kassenvertrag (+ 4 Vorsorge-ÄrztInnen)
• Innere Medizin: 4 mit Kassenvertrag; 7 ohne Kassenvertrag (+ 3 Vorsorge-ÄrztInnen)
• Augenheilkunde und Optometrie: 2 mit Kassenvertrag; 1 ohne Kassenvertrag
• Radiologie: 0 mit Kassenvertrag; 1 ohne Kassenvertrag
• Kinder- und Jugendheilkunde: 1 mit Kassenvertrag; 2 ohne Kassenvertrag
• Frauenheilkunde und Geburtshilfe: 2 mit Kassenvertrag; 4 ohne Kassenvertrag
• HNO: 1 mit Kassenvertrag; 2 ohne Kassenvertrag
• Neurologie: 1 mit Kassenvertrag; 1 ohne Kassenvertrag
• Lungenkrankheiten: 0 mit Kassenvertrag; 0 ohne Kassenvertrag
• Haut- und Geschlechtskrankheiten: 1 mit Kassenvertrag; 2 ohne Kassenvertrag
• Urologie: 1 mit Kassenvertrag; 1 ohne Kassenvertrag
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