Vertragsärzte können Praxis nicht weitergeben
„Apothekerkammer kontra Ärztekammer“ verursacht medizinisches Versorgungsproblem im ländlichen Raum. Neu niedergelassenen Ärzten wird das Führen einer Hausapotheke untersagt.
NÖ / HARMANNSDORF (fd). Nach einer internen Erhebung der NÖ Ärztekammer sind mehr als 100 Hausapothekenstandorte in Niederösterreich aufgrund der aktuellen Gesetzeslage gefährdet.
Hauptgrund ist eine Änderung des Apothekengesetzes vor einigen Jahren, wonach bei Übernahme von Landpraxen der Mindestabstand zur nächsten öffentlichen Apotheke für die Neubewilligung der Hausapotheke sechs Kilometer betragen muss. Dies wird dazu führen, dass zahlreiche ärztliche Hausapotheken bei Praxisübergabe nicht weiterbetrieben werden können, obwohl keine zusätzliche öffentliche Apotheke ihren Dienst aufnimmt. Niederösterreich ist durch die ländliche Struktur besonders stark betroffen. Hier sind aber auch deshalb viele Hausapotheken vorhanden, weil diese Praxen die medizinische Nahversorgung für die Bevölkerung überhaupt erst ermöglichen.
Patienten sind die Dummen
Gemeindearzt Kurt Reif in Harmannsdorf-Rückersdorf findet deutliche Worte zu der Situation: „Wieder einmal wurden die Kranken und Wehrlosen der Gewinnmaximierung einer Lobby als Opfer dargebracht. Was ich nicht verstehe ist, dass sich die Ärztekammer gegen die Apothekerkammer nicht durchsetzen kann. Ich stelle ganz dezitiert die Frage, wer für den Patienten im Notfall lebensentscheidend wichtiger ist: Der Arzt, der mittels Hausapotheke alle Medikamente sofort zur Hand hat, oder ein(e) Apotheker(in), welche(r) in erster Linie umsatzorientiert agiert?“ Abgesehen davon hat eine den Bezirksblättern exklusiv vorliegende, noch nicht veröffentlichte Patientenumfrage der Niederösterreichischen Ärztekammer eindeutige Ergebnisse erbracht. In Orten, in welchen es seit einiger Zeit keine ärztliche Hausapotheke mehr gibt, haben 50,4 Prozent der Befragten angegeben, dass sich die Versorgung mit Medikamenten „sehr verschlechtert“ und 37,4 Prozent, dass sich die Versorgung „eher verschlechtert“ hat.
Hausbesuche ohne Medikamente
Ernst Kalser, praktischer Arzt in Harmannsdorf-Rückersdorf, bringt auch noch ein anderes wesentliches Problem zur Sprache. „Wenn einem Vertragsarzt die Hausapotheke verweigert wird, werden die Hausbesuche im Notfall zur Farce. Wir Landärzte kennen den Großteil unserer Patienten über Jahre und wissen meistens, was wir an Medikamenten mitnehmen müssen, um dem Patienten schnell und effizient helfen zu können. Unter Umständen lebensrettende Maßnahmen werden durch die Regelung wesentlich erschwert und ich frage mich, ob sich die Kammer dieses Dilemmas bewusst ist und gegebenenfalls auch die Verantwortung für einen allfälligen, dadurch heraufbeschworenen Todesfall übernimmt.“ Dass eine Weitergabe einer Arztpraxis im ländlichen Raum ohne Hausapotheke so gut wie unmöglich ist, bestätigt auch Ernst Kalser. „Nicht nur, dass die Vertragshonorare zeitwertbereinigt seit 1990 um gut 50 Prozent gesunken sind, wird mit dieser Regelung der Anreiz, eine Arztpraxis zu übernehmen, gleich Null gestellt.“
Apotheker sehen kein Problem
Seitens der Apothekerkammer zeigt man sich über die Argumentationen der Ärzte empört. „Die Verunsicherung seitens der Ärztekammer gegen die Apotheker ist nicht akzeptabel“, ärgert sich Apothekenkammerpräsident Werner Lukas gegenüber dem Bezirksblatt. „Das Argument, dass ein bettlägriger Patient nicht mit Medikamenten versorgt werden kann, lasse ich so nicht gelten, denn jeder Arzt hat einen Notfallkoffer, womit er den Patienten erstversorgen kann.“ Dem Argument der Ärztekammer, niedergelassene Ärzte würden mit dem Wegfall der Hausapotheke einen erheblichen Verdienstentgang erleiden, hält Luks entgegen: „In ländlichen Gebieten betreuen Ärzte oft wesentlich mehr Patienten als ihre Kollegen in Stadtgebieten und haben obendrein noch weniger Mitbewerber.“ Gemeindearzt Reif stellt allerdings eine harsche Gegenfrage: „Wer ist entbehrlicher für die Heilung Kranker oder Verletzter? Der praktische Arzt oder der Apotheker?“
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