Ein Dirigent, wie ein Bild von Raffel, Musik vom Feinsten und Bestürzung nach einer Absage
Die Südost-Tangente ist verstaut. Die Fußball-Sympathisanten wissen noch nicht, dass Österreich mit 1:2 gegen den 5-fachen Weltmeister verlieren wird. Zu Rudolph Simonsens inspirierender Musik - Symphonie 1 und 2 - komme ich ins Konzerthaus. Sie kennen Simonsen nicht? Dann ist es höchste Zeit, diese CD zu kaufen. Versuchen Sie es erst gar nicht bei Amazon und ähnlichen Plattformen. Sie werden dort nicht fündig. Ein heißer Tipp: Bei EMI in der Kärntner Straße kann man diese unglaublich dynamische Musik bestellen - Wartezeit ca. ein Monat. Und mit der Kurier-Club-Karte gibt es zusätzlich Rabatt. Eigentlich hat sich durch die frühe Anreise Hunger aufgebaut. Ich schleiche mich am Gmoakeller vorbei, damit ich nicht in Versuchung gerate hineinzugehen und meinen Zuckerspiegel in Unordnung zu bringen. Nach dem Konzert gibt es kein Halten mehr. Ziegenkäse im Speckmantel auf Salat mit zwei Gläsern Jungwein befriedigen Gaumen und Magen.
Die ausgehungerte Seele, wohl eingestimmt durch klassische Musik aus dem Autoradio, trifft im Konzerthaus auf ein Jammertal: Elina Garanča hat abgesagt. Die Konzerthaus-Community ist irritiert, manche machen kehrt, wahrscheinlich um ihren Kummer zuhause zu ertränken. Fehlentscheidung, denn mit der Bulgarin Vesselina Kasarova wurde ein gleichwertiger Ersatz gefunden. Begleitet wird sie vom Königlichen Concertgebouw Orchester Amsterdam unter dem Dirigat von Robin Ticciati. In Hector Berlioz „La mort de Cleopatra“ zeigt die Diva, dass sie die Klangballungen des Werkes nicht nur gut zu bewältigen weiß, sondern auch mit glänzender Ausdruckskraft bereichert. Ihr Mezzo ist breit gefächert, in jeder Stimmlage ein Genuss ihr zuzuhören. Nicht nur musikalisch, sondern auch in der Mimik macht sie den „Tod der Kleopatra“ augenscheinlich. Dass Kasarova nicht wortdeutlich ist – die Frau neben mir spricht Französisch wie eine Französin – tut nichts zu Sache. Es ist IHR Konzert, und das Publikum bedankt sich mit reichlichem Applaus. Wenig charmant beurteilt ein Mann in Ottakringer-Deutsch die Sängerin: „Schen is net, oba singa kauns“ motzt er in Richtung der aus dem Brunnenmarkt gekollerten Frau daneben.
Bedächtig beginnt das Konzert mit Gabriel Faures „Pelléas et Mélisande. Dieser Komponist beeinflusste eine ganze Musikkünstler-Generation. Die Amsterdamer spielen sich warm, lautmalerisch hört man von vergänglicher Liebe, Tod, der Arbeit der Spinnerin, Stille und Trauer. Die Harfe ist das Instrument, das hier wie kaum in einem anderen Konzert besonders zur Geltung kommt. Einfühlsam leitet der Dirigent dieses Musikdrama. Der Brite, den die „Süddeutsche“ als „wie aus einem Gemälde von Raffael entsprungen“ bezeichnet, ist einer, der mit Umsicht auch Ravels „Valses nobles et sentimentales“ und Debussys „La mer“ zur Geltung bringt. Letzteres besonders musikalisch, und - weil die See rauh ist - auch mit gefühlter Nässe, die vom Podium tropft, dennoch wohl geformt in gewaltigem Tsunami-Tempo.
Wird es Amsterdam noch geben, wenn der Klimawandel nicht gestoppt wird? - fällt mir plötzlich ein, als im Pianissimo eine gewisse Todesruhe einkehrt. Solche defätistische Anwandlungen passen nicht in eine Konzertkritik – höre ich meine Lektorin sagen. Ich lasse es trotzdem stehen und verspreche ihr eine Flasche „Gemischer Satz“. Prost Christine!
Next: 2 x Wiener Symphoniker unter ihrem neuen Chefdirigenten Philippe Jordan am 21.11. um 19 Uhr und am 23.11. um 11 Uhr. Und in beiden Konzerten spielt eine der für mich besten Pianistinnen der Welt mit dem unaussprechlichen Namen Khatia Buniatishvili. Es lohnt sich schon, allein ihretwegen ins Konzerthaus zu gehen.
Ich will auch noch an das Geschenk-Abo erinnern, und dass es für Beethovens Neunte zu Silvester und Neujahr noch Karten gibt.
Alles unter: www.konzerthaus.at
Reinhard Hübl
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