Warum mich Robert Dornhelm schon zweimal zum Weinen brachte
Die bei der Premiere in St. Margarethen vom Regen durchweichten Promis sind weiter gezogen - nach Gars (Don Carlos), Salzburg (Jedermann) oder Bregenz (Turandot). Nach der feuchten Tosca-Premiere im Steinbruch wird zwei Tage später ein solides Operntheater geboten. Open-Air-Atmosphäre, wie man sie sich nur wünschen kann, mit einer der wunderbarsten Werke der Opernliteratur: Tosca von Puccini. Die Interpretation gibt den Ausschlag. Und gleich vorweg: Das ist im höchsten Maße gelungen. Gut, man kann über so manche Passagen streiten, etwa ob die etwas dekadente Prozession ins Gesamtbild der Aufführung passt. In der Wiener Staatsoper wird in der 30 Jahren alten Inszenierung von Otto Schenk mit dem klerikalen Pomp dezenter umgegangen. Wie auch immer, die Medien sind
uneins: Während der Standard sauertöpfisch von der Premiere berichtet, schreibt der Kurier eine enthusiastische Kritik, und die Presse berichtet gar nicht, zumindest nicht im On-line-Dienst.
Ich weiß nicht, wie die Erstbesetzung ihre Aufgabe meisterte, die Zweit- oder Drittbesetzung tut dies allemal. Die Nürnbergerin Katrin Adel singt die Tosca, als hätte sie diese schwierigen Partie schon immer gesungen.
Glänzende Bühnenpräsenz, eine feine Stimme, dramatischer Sopran - die Idealbesetzung. Das gilt auch für Marcelo Puente. Der Argentinier hat alles, was man für den Maler Cavaradossi braucht, eine kraftvolle, gefühlvolle Stimme, die auch im Pianissimo zur Geltung kommt. Er vermittelt glaubhaft die Leidenschaft zu Tosca, ist duldsam in Leiden und Folter, eine sängerische Persönlichkeit ohne gespachtelte Allüren, ein strahlender Tenor. Wenig Ausstrahlung hat Davide Damiani als Scarpia. Im ersten Teil klingt er angestrengt und bemüht. Einige Passagen schafft er nicht ohne Patzer. Später legt seine Stimme an Kraft zu, schauspielerisch - vor allem in der Auseinandersetzung mit Tosca - zeigt er seine Bösartigkeit überzeugend. Zynisch fordert er von ihr Liebe ein, macht sie zur Handlangerin seiner Begierde und missbraucht seine Macht. Er ist sich sicher, dass sein Vorgehen von der Staatsmacht gebilligt wird.
Zum Inhalt: Cavaradossi brennt in seiner Liebe zu Tosca. Gleichzeitig ist er ein Mann der Ehre und des Anstands. Er versteckt seinen Freund Angelotti vor dem Terrorregime des Polizeichefs Scarpia. Dieser verfolgt beide. Den einen, weil er sich gegen die staatliche Gewalt auflehnt, den anderen, weil er Courage zeigt und nicht verrät, wo er seinen Freund versteckt hält. Was seine Lage zusätzlich stark beeinträchtigt, ist die Liebe zu Tosca, die auch Scarpia besitzen möchte. Durch seine Macht möchte dieser den Nebenbuhler aus der Welt schaffen. Tosca ist das Faustpfand in der Hand des Tyrannen, der vor Brutalität nicht zurückschreckt. Er will Toscas Liebe und das Versteck Angelottis. Es beginnt ein ungleiches Spiel. Tosca, im Angesicht der Folter ihres Geliebten Mario, verrät die Unterkunft Angelottis, heuchelt Zuneigung und bringt Scarpia dazu, einen Freibrief zur Flucht für sie und Cavaradossi auszustellen. Um sein Gesicht zu wahren, genehmigt er eine Scheinerschießung. Bevor es zwischen ihm und Tosca zu Intimitäten kommt, erdolcht sie den verhassten Polizeichef. Frohen Mutes besucht sie Cavaradossi im Kerker und erzählt ihm von dem Deal. Es kommt anders. Das Erschießungskommando hat scharfe Munition in der Gewehren. Scarpia siegt dadurch noch über seinen Tod hinaus über die Widersacher. Tosca ist entsetzt, kann sich von Cavaradossi nicht mehr verabschieden. Sie wird von den Schergen des Ermordenden Scarpia verfolgt und stürzt sich auf der Engelsburg in die Tiefe.
Die Begegungszonen sind auf dieser riesigen Bühne schwierig zu bewältigen. Dennoch: Die junge Bühnenbildnerin Amra Bergman schafft eine einzigartige Kulisse, einen 25 m hohen Engel, eine funktionelle 3-D-Fläche, die Dornhelms Ideen freien Raum lässt. Unter den Flügeln des Engels spielt sich die gewalttätige Dreierbeziehung ab. Robert Dornhelm, Meister der intimen Szenen, setzt die Oper in Cinemascope mit Videoeinspielungen gelungen in Szene. Close-Up-Einstellungen, wo man jede Regung der Akteure effektvoll sehen kann. Eine Menschenführung ist kaum besser zu bewältigen. Die Abschiedsszene zwischen Tosca und Cavaradossi ist von einer derartigen Brillanz, Innigkeit und Zartheit, dass sie mich zu Tränen rührt. Bei La Boheme - auch hier im Steinbruch vor zwei Jahren - passierte das zum ersten Mal. Das Sterbeduett von Rodolfo und Mimi brachte mich damals total aus der Fassung. Die vorjährige Aida war nicht so mein Ding, zu viel Hollywood, zu wenig Inhalt, zu bombastisch.
Mit Tosca hat mich Robert Dornhelm wieder überzeugt, und die Versöhnung könnte schöner nicht sein. Das ganze Team hat tolle Arbeit geleistet, und der gelungene Kunstgriff zum alles überstrahlenden Engel hat zum ersten Mal die Kulisse des Steinbruchs verblassen lassen.
Berührendes in die Realität umsetzen kann nur jemand, der sich intensiv mit den Menschen, seiner Liebesfähigkeit, seiner Trauer, seinen Schwächen und Stärken auseinanderzusetzen getraut. Illusion zu erzeugen, gelingt nur selten bei einer so opulenten Aufführung. In St. Margarethen war das der Fall. Nicht vergessen soll in diesem grandiosen Opern-Spektakel das Orchester der Prager Staatsoper, der Philharmonika Chor und der Knabenchor Bratislava unter der Leitung von Michael Güttler. Puccini ist der Grundsteinleger, die Musikwelt darf die Interpretation dem Publikum naheberingen. In St. Margarethen ist das mehr als gelungen. Die neue Intendantin Maren Hofmeister kann sich glücklich schätzen. Die Oper wird bis 15. 8. gespielt. Aufgrund des großen Interesses wird am 6.8. eine Zusatzvorstellung eingeschoben. Mein
Tipp: Schauen Sie sich das an. Warme Kleidung ist anzuraten.
Noch ein Asset: Behinderte werden vom Parkplatz bis zu den gebuchten Plätzen begleitet. Und Blaguss bietet einen Bustranfer von Wien an.
Für 2016 hat man Gaetano Donizettis "Liebestrank" geplant.
Infos und Tickets: www.arenaria.at
Reinhard Hübl
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