"Sparpolitik kann fatal sein"

Foto: medienfotos.com

StadtRundschau: Derzeit herrscht in der Politik ein breiter Konsens zum
Sparen. Auch in Linz fordert vor allem die Opposition einen Sparkurs.
Ist das der richtige Weg?


Walter Ötsch:
Sparen gutzuheißen ist eine Denkweise, die sich global
seit der Krise im Jahre 2008 herausgebildet hat. Wenn jemand sparen
sagt, meint er meist, den Sozialstaat abzubauen. Auch wenn es vorerst
bei uns keine große Auswirkungen gibt, kann sich damit eine Spirale nach
unten in Gang setzen. Die Tragödie ist, dass dieses Vorgehen jetzt
überall praktiziert wird. Global wird eine Ideologie des Sparens
durchgesetzt. Woher dabei eine Wachstumsdynamik kommen soll, bleibt ein
Rätsel.

Welche Auswirkungen hat das konkret für die Bürger?

Bei niedrigen Wachstumsraten würde die Arbeitslosigkeit weiter steigen und die Schulden des Staates ebenso. Die Konsequenz wäre, dass jedes Jahr aufs Neue Sparpakete gefordert werden müssten.

Ist der Gedanke des Sparens wirklich ein schlechter?

Würde man gleichzeitig in Europa ernsthaft den Sozialstaat erhalten
wollen, müsste man den Abbau der Staatsschulden auf andere Weise angehen.
Jetzt ist diese Politik mit einem schrittweisen Abbau des Sozialstaates
verbunden, in Griechenland gibt es gar keinen Sozialstaat mehr. Diese
Art von Politik empfiehlt die Befolgung jener Rezepte, die vor der Krise
empfohlen wurden und zur Krise geführt haben.

Warum wollen dann alle sparen?
2008 war die größte Krise seit 1945 und die Politik hat den Menschen
diese Krise nicht erklärt. Allein das ist ein folgenreicher Tatbestand.
2009 wurden zwar die Auswirkungen am Arbeitsmarkt durch kluge Maßnahmen
abgefedert, aber es wurde der Bevölkerung von keiner Partei eine
stimmige Erklärung für die Krise selbst angeboten. Stattdessen wurden
die Staatsschulden beziehungsweise überhaupt öffentliche Schulden zum
vorrangigen Problem erklärt. "Wir haben über unsere Verhältnisse
gelebt" wird jetzt akzeptiert, das ist aber falsch. Nach der Einführung
des Euros sind die Staatsschuldenquoten bis 2007 im Durchschnitt
gesunken, nicht gestiegen. Nachher sind sie deutlich gestiegen, aber der
direkte Zusammenhang mit der Krise wird nicht beachtet.

Was sind die Gründe dafür?

Die Krise wurde als Ausnahme, sprich als Erdbeben oder Tsunami
betrachtet. Es fand und findet keine Reflexion über die wirklichen
Ursachen der Krise statt. Bei einer Reflexion hätte man Eliten
austauschen müssen, in der Wirtschaft, vor allem im Bankensektor, in der
Politik und auch in der Wissenschaft, vor allem der Ökonomie. Man hätte
das ökonomische Denken, das jene Strukturen gefördert hat, die zur Krise
geführt haben, kritisieren und verändern müssen.

Warum ist das nicht passiert?

Weil es weder einen Austausch von Denkweisen noch von Netzwerken gegeben
hat. Die handelnden Akteure sind die gleichen geblieben. Vor allem
Großbanken agieren heute noch aggressiver als vor der Krise.

Hat sich seit 2008 überhaupt etwas verändert?

Ja, das Wirtschaftssystem als Ganzes hat sich verändert. Wir haben eine
historisch neue Phase, wofür es noch keine theoretische Bezeichnung
gibt. Es sind zum Beispiel die großen Banken noch mächtiger geworden —
und sie sind in höherem Maße als früher von den Nationalbanken abhängig.

Hat die Politik die Macht bereits an die Wirtschaft abgegeben?

Nein, die Macht liegt immer noch bei der Politik. Das Problem ist jene
Politik, die sagt: Wir können keine Macht ausüben, wir müssen uns den
Sachzwängen unterwerfen und wir haben keine Alternative. Aus der
Alternativlosigkeit wächst auch die Verdrossenheit an der Politik. Ein
wachsender Teil der Bevölkerung fühlt sich von den staatstragenden
Parteien nicht mehr repräsentiert.

Wir haben ein Schuldgeldsystem, das heißt wenn die Staatsschulden
steigen, müssen auch gleichzeitig Guthaben steigen?

Das ist richtig. Aber diese Art der Zusammenhänge werden nicht mehr
thematisiert. Die simple Saldenmechanik wird nicht bedacht. Zu sagen,
wir belasten unsere Kinder ist unrichtig. Es wird in Zukunft
verschuldete und vermögende Kinder geben. Eine Bilanz hat immer zwei
Seiten: Die Schulden des einen sind die Guthaben des anderen. Was
allerdings richtig ist, ist die Umverteilung durch Staatsschulden. Es
sind natürlich die Reicheren, die Staatsanleihen kaufen und von den
Zinsen profitieren.

Braucht es ganz neue Denkansätze?

Prinzipiell ja. Wir sollten uns für eine andere Art von Kapitalismus
einsetzen. Es geht zum Beispiel darum, die ungeheure Macht des
Finanzsystems zu verkleinern, die Steuerflucht der Konzerne zu beenden
und die Steueroasen abzuschaffen. Das Wirtschaftssystem heute verteilt
permanent Vermögen und Einkommen von unten nach oben um. Ein solcher
Trend ist für die Demokratie gefährlich. Langsam löst sich der soziale
Kitt zwischen den Menschen auf. Konkret gibt es viele gute Vorschläge
für Reformen, zum Beispiel für die Ökologie oder auch zur Neugestaltung
von Finanzsystemen.

Kann man als Stadt oder auch als kleines Land etwas bewegen?
Sicher! In jedem Fall auf der Ebene des Nachdenkens für Reformen in die
richtige Richtung. Im Grunde brauchen wir eine Neubelebung der
Demokratie. Warum kann diese nicht von Österreich ausgehen? Zuerst muss
man aber die falschen Denkweisen wirklich verstehen, zum Beispiel das
Gerede von "dem Markt", dem wir uns zu unterwerfen haben. Es gibt gar
keinen "den Markt" oder "die Märkte". Diese Denkfigur ist ein Mythos,
der allerdings wirksam ist, weil er eine bestimmte Art von Politik
transportiert.

Abschließend noch zur neuen Bundesregierung. Wie betrachten Sie deren
Angelobung?

Man sieht es ja an den Reaktionen: Es herrscht überhaupt keine
Begeisterung, es gibt keinen Aufbruch. Wir erleben in der Politik eine
Stagnation, die Intellektuellen sind angeödet. Eine solche Entwicklung
arbeitet den Populisten in die Hände. Strache braucht überhaupt keine
Politik zu machen, er braucht nur zu warten. Er hat ja nicht das
taktische Geschick von Jörg Haider: Wenn Haider noch die FPÖ führen
würde, wäre sie bereits die stärkste Partei.

Wie sehen Sie die Zusammenlegung von Wirtschafts- und
Wissenschaftsministerium?

Auf der symbolischen Ebene ist das ein fatales Zeichen. Es signalisiert
eine Ökonomisierung von Bildung, welche abzulehnen ist. Inhaltlich muss
es vermutlich keine großen Auswirkungen haben, aber es ist genau das
Signal in die falsche Richtung.

Anzeige
Foto: Oliver Hoffmann - stock.adobe.com
3

Das Arbeitsmarktservice (AMS) vermittelt
Damit Arbeitskraft und Unternehmen zusammenpassen

Jene zusammenzubringen, die bestens zusammenpassen, nennt man ein gelungenes „Matching“. Ob dies nun Lebenspartner/Partnerinnen sind oder – davon ist hier die Rede – Arbeitskraft und Unternehmen. Die Vermittlerrolle nimmt dabei das Arbeitsmarktservice (AMS) ein. Wie gelingt dieses Matching möglichst optimal?Es gelingt dann, wenn die Beteiligten möglichst präzise wissen und sagen können, was und wen sie brauchen. Für mich als Jobsuchenden heißt das, mir die Stellenausschreibung genau anzusehen,...

Kommentare

?

Du möchtest kommentieren?

Du möchtest zur Diskussion beitragen? Melde Dich an, um Kommentare zu verfassen.

UP TO DATE BLEIBEN

Aktuelle Nachrichten aus Linz auf MeinBezirk.at/Linz

Neuigkeiten aus Linz als Push-Nachricht direkt aufs Handy

BezirksRundSchau Linz auf Facebook: MeinBezirk.at/Linz - BezirksRundSchau

ePaper jetzt gleich digital durchblättern

Storys aus Linz und coole Gewinnspiele im wöchentlichen MeinBezirk.at-Newsletter


Du willst eigene Beiträge veröffentlichen?

Werde Regionaut!

Jetzt registrieren

Du möchtest selbst beitragen?

Melde dich jetzt kostenlos an, um selbst mit eigenen Inhalten beizutragen.