Ur europäisch: Der Brexit - oder: Das britische Kind und die besten Stücke des Kuchens
Selten ist es in den Social-Media-Kanälen so politisch zugegangen wie heutzutage. Aktuelles Thema: der (mögliche) Brexit – also der EU-Ausstieg der Briten. Da finden sich kuschelnde „Hug a Brit”-Fotos und Liebeserklärungen unter den Hashtags #remain #EuropelovesUK und #seeyouintheEU.
Das Referendum über den Verbleib Großbritanniens am 23. Juni rückt näher und man hat tatsächlich ein wenig das Bedürfnis, einen Briten in die Arme zu nehmen und recht lang zu drücken. Ein potenzieller Kuschelkandidat wäre Eugene Quinn, der als einer von ca. 10.000 Briten seit 2008 in Österreich lebt. Ihn selbst macht das Referendum wütend: „Großbritannien benimmt sich wie ein Kind, das sich nur die guten Stücke vom Kuchen nehmen will.” Die EU habe eben positive und negative Aspekte und man müsse mit beiden umgehen.
Im Umgang mit zwei Seiten kennt sich Eugene aus. Wien liebt er inzwischen mehr als seine österreichische Frau es tut. Und doch ist eine seiner erfolgreichsten Projekte hier gerade die „Vienna Ugly Tour”. Ein Paradebeispiel für seinen britischen Humor, den er in den Projekten seines Verein „Space and Place” durchklingen lässt.
Die „Ugly Tour”, sagt Eugene, zeige Wien ganz abseits des Sissi-Schnitzel-Images, das man als Tourist normalerweise serviert bekommt. Es zeige die wahre Schönheit der Stadt, die eben auch in den hässlichen Ecken liege. „In Wien hat es doch etwas geradezu Romantisches, sich auch dieser Seite der Stadt zu widmen.” Sein Lieblingsgebäude auf der Tour ist übrigens der Flakturm im Augarten. „Der ist schön und hässlich zugleich – wie Katy Perry.”
Die Stadt erriechen
Worum es ihm eigentlich geht? Eugene will die Wiener mit den Zugereisten zusammenbringen. Er kennt seine neue Heimat inzwischen gut und weiß: Die Wiener mögen keinen Small Talk, sie mögen Big Talk. Aus diesem Grund hat er zum Beispiel die Vienna Coffeehouse Conversations ins Leben gerufen.
Es ist ein Format, bei dem sich Einheimische mit internationalen UNO-Mitarbeitern über Fragen wie „Welcher Teil deines Lebens war vergeudete Zeit?” austauschen können. Diese Weltoffenheit ist ein wichtiger Teil Wiens, den er kommunizieren will.
Seine nächste Tour widmet sich einer anderen Seite der Stadt: und zwar der, die man riechen kann. Auf der „Smell Tour”, die am 17. Juni im Rahmen von „Wir sind Wien” stattfindet, wird man 16 guten und 7 schlechten Gerüchen nachschnüffeln. Der Wiener Wald, die U6 und die Manner-Fabrik sind dabei nur einige Stationen, die Wiens einzigartige Geruchskulisse bilden und einem das Gefühl geben, hier zu Hause zu sein.
Gerüche vermitteln tatsächlich ein Heimatgefühl – vielleicht ein Ansatz, den man für einen weiteren Referendums-Hashtag nutzen könnte: #SmellEurope. Wobei, wer weiß, ob das den gewünschten Erfolg bringen würde …
Nachgefragt
Einzigartiges Wien:
„In Wien kann man mit wenig Geld gut leben: gratis Kulturveranstaltungen, günstige Öffis.”
Ur weanarisch:
„Das Wort ‚Schlammschlacht’ gefällt mir gut. Einfach, weil es genau nach dem klingt, was es ist.”
Heimweh:
„Ich vermisse den Humor und das Chaos. Wien ist zu brav.”
Fürs Vokabelheft:
„Ich würde den Wienern gern das Konzept von ‚livability’ näher bringen. Damit sie erkennen, wie ‚lebbar’ ihre Stadt ist.”
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