Thayatal: Retz-Hardegg 3
Wir erreichen nun den Vinzenziplatz entlang der zwei geduckten Häuser am linken Bildrand. In Ermangelung eines neutralen Fotos im Bildarchiv wurde hier eine Aufnahme von der jähr-lichen Fronleichnamsprozession verwendet, welche auch auf diesem Platz Station macht. (Ich bin übrigens der im braunen Jackett.)
Auf einem mit 1770 bezeichneten, ungefähr mannshohen Volutensockel in der Mitte des Vinzenziplatzes steht die Figur des Dominikanerheiligen Vinzenz Ferrer. Darstellungsform als predigender Dominikaner mit der nach oben weisenden rechten Hand, mit Buch und mit den Engelsflügeln an seinen Schultern als Engel der Apokalypse. Es ist dies eine sehr häufige Darstellungsform des Heiligen. Sehr verbreitet auch die Darstellung mit einem Kreuz oder einer Sonne mit dem Monogramm Christi IHS auf der Brust.
In ihren Händen hält die Figur wie schon erwähnt ein aufgeblättertes Buch, in welches die lateinische Inschrift "Timete Deum et date illi Honorem quia venit hora judicii ejus" eingemeißelt ist. Zu Deutsch: "Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre, weil es kommt die Stunde seiner Gerichtsbarkeit". Übersetzt von dem Retzer Heimatgeschichtsexperten Dipl.-Ing. Helmut Hofbauer.
An der Vorderseite der Figur, ungefähr in Augenhöhe, befindet sich traditionell ein Behältnis für ein kleines Grablicht.
Grundstücksnummer: 231/1.
Vinzenz Ferrer wurde um 1350 in Valencia in Ostspanien als Sohn eines Notars geboren und trat 1367 in den Dominikanerorden ein. Er studierte Philosophie und Theologie in Lérida und Barcelona, erwarb die Doktorwürde und lehrte in Valencia. Vinzenz Ferrer gilt als einer der größten Bußprediger des Mittelalters. Wie kaum ein anderer konnte er die Zuhörer ganz in den Bann seiner flammenden Rede schlagen. Dadurch und durch seinen unerschütterlichen Glauben und sein vorbildliches Leben konnte er viele Menschen bekehren. Von 1399 bis 1409 unternahm er seine berühmte Wanderreise von Spanien nach Frankreich, Oberitalien, der Schweiz und Deutschland. In freimütigster Offenheit tadelte er die Zeitgenossen und scheute sich auch nicht, Fürsten und Geistlichen genauso schonungslos die Wahrheit zu sagen wie dem "gemeinen Volk". Er nannte sich selbst "legatus a latere Christi" – das "alter ego", das zweite Ich Christi. Er zog als Bußprediger durch Frankreich und starb am 5. April 1419 in Vannes in der Bretagne. Im dortigen Dom wurde er bestattet. Papst Calixtus III. sprach ihn am 19. Juni 1455 heilig.
Der Heilige Vinzenz Ferrer ist Schutzpatron von Valencia und Vannes sowie der Dachdecker, Holzarbeiter, Ziegelmacher und Bleigießer. Er wird um Beistand angerufen bei drohenden Gefahren, Fieber, Kopfweh und Epilepsie. Die Gläubigen wandten und wenden sich an ihn um eine gute Heirat und einen guten Tod.
Die Verehrung des Heiligen verbreitete sich rasch; besonderer Beliebtheit erfreute er sich in Spanien und Deutschland.
Informiert über das Leben und Wirken des Heiligen Vinzenz Ferrer wurden wir maßgeblich durch einen Mann, dessen Name auch in engem Zusammenhang mit diesem Platz hier steht, nämlich Pater Ignaz Lamatsch.
Ignaz Lamatsch, geboren am 8. Februar 1797 in Lemberg, wurde Geschichtsprofessor und trat 1826 in das Retzer Dominikanerkloster ein, wo er unter anderem als Klosterchronist wirkte. Von 1832 bis 1834 war er Prior, verzichtete dann aber auf dieses Amt, da seine großen Stärken offensichtlich in der Forschung und Wissenschaft lagen. Er machte sich in verschiedenster Weise um Retz verdient. Die Ignazigasse, welche vom nordwestlichen Ende dieses kleinen Platzes in Richtung Klosterbrückl abzweigt, sowie das daran anschließende Ignazibrückl über den Stadtgraben hinweg, entstanden beide maßgeblich auf seine Initiative hin und tragen daher auch seinen Namen.
In dem um 1855 in Ödenburg von Lamatsch verfassten Werk "Die Seeligen und Heiligen des Predigerordens" finden sich neben vielen anderen Lebensläufen auf insgesamt 50 Seiten auch detaillierte Schilderungen über Wirken und Schaffen des Heiligen Vinzenz Ferrer.
Pater Lamatsch verstarb am 8. Mai 1863.
(Quelle: Helmut Wieser: "Der Heilige Vinzenz Ferrer und Retz." Retzer Schriften 2/2000. Herausgegeben von der Volkshochschule der Stadt Retz und den "Retzer Sammlungen". Retz 2000.)
Nachdem wir uns auf dem Platz ein wenig umgesehen haben, verlassen wir ihn durch die schmale Ausfallstraße im Bildhintergrund.
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