Interreligiöse Gedenkwanderung
"Die Erinnerung aus der Asche holen!"

Züge fuhren in Lungitz über viele Jahrzehnte auf menschlicher Asche - ein Detail der NS-Verbrechen, das sprachlos macht. | Foto: Eckhart Herbe
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  • Züge fuhren in Lungitz über viele Jahrzehnte auf menschlicher Asche - ein Detail der NS-Verbrechen, das sprachlos macht.
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Durch die Covid-Einschränkungen fast unbemerkt erfolgte Mitte Mai die Einweihungen einer NS-Gedenkstätte beim Bahnhof Lungitz durch Innenminister Karl Nehammer. Im Zuge von Gleisbauarbeiten waren Skelette und menschliche Asche, mutmaßlich von Opfern des kaum bekannten Mauthausener Außenlagers Lungitz - Gusen III, gefunden worden. Der Papa Gruber Kreis und die Plattform Johann Gruber, benannt nach dem im KZ Gusen ermorderten Priester Johann "Papa" Gruber, organisierte am 20. Juni eine Gedenkwanderung von Gusen nach Lungitz und eine multireligiöse Feier mit hochrangigen Kirchenvertretern am neuen Ort des Gedenkens, der nun ins Bewusstsein der Bevölkerung gerufen werden soll.
KATSDORF. Trotz brütender Hitze war ein große Wandergruppe dem Aufruf gefolgt, den täglichen, fast acht Kilometer langen Weg der im Außenlager Lungitz eingesetzten Häftlinge zu gehen. Von den KZ-Baracken in Gusen über den Frankenberg - ebenfalls Ort tragischer Geschehnisse - bis zum Bahnhof Lungitz vermittelten dabei Experten des Gedenkdienstkomitees Gusen die geschichtlichen Zusammenhänge.  Dass dort, wo jetzt der Motorikpark und friedliche Felder liegen, vor 80 Jahren ein Ort des NS-Schreckens bestand, wussten selbst Einheimische kaum. In einem Ziegelwerk, Lagern für Flugzeugteile des Bergkristall-Stollensystems und einer Großbäckerei für die KZ-Lager in Gusen wurden seit 1941 Häftlinge ausgebeutet und ermordet.

Aschefund bei Bahnhofumbau

Erst der Fund von Skeletten - diese stammen allerdings aus dem Mittelalter - und einer Schicht menschlicher Asche beim Umbau des Lungitzer Bahnhofs rückte das Areal ins Interesse der Öffentlichkeit.  Wissenschaftliche Untersuchungen legen nah, dass die Asche von ermordeten KZ-Häftlingen stammt. Der Bahnhof konnte nicht verlegt werden, das Kriegsgräbergesetz verlangte aber "aus Gründen der Pietät und Ethik" eine Bestattung der menschlichen Überreste. Diese wurden in unmittelbarer Nähe am neu geschaffenen Gedenkort beigesetzt. Diözesanbischof Manfred Scheuer, Renate Bauinger, die Superintendentialkuratorin der Evangelischen Kirche und Charlotte Herman, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde Linz, fügten in sehr persönlichen Worten, mit dem ausdrucksstarken Psalm 143 und dem jüdischen Totengebet nun auch eine sehr berührende religiöse Komponente hinzu.

"Opfern ihre Identität zurückgeben"

"Nicht einmal die Würde eines Grabes, die Asche  über unfruchtbares Land verstreut oder als Unterbau für Straßen und Eisenbahnen, jede Erinnerung an menschlicher Existenz getilgt - es ist nicht fassbar, macht sprachlos, beschämt. Umso mehr ist es Aufgabe und Verpflichtung, den Opfern von damals in einer modernen, humanitär und völkerverbindend geprägten Art und Weise Gesicht, Stimme und Identität zurück zu geben", so das gemeinsame Bekenntnis aller anwesenden Mitglieder der Kirchen und Gedenkorganisationen.

Vergessenes Außenlager Lungitz

In den Gebäuden eines stillgelegten Ziegelwerkes beim Bahnhof Lungitz (Gemeinde Katsdorf) an der Bahnstrecke Linz - Budweis richtete die SS Ende 1943 ein Materiallager für das in Bau befindliche Stollensystem "Bergkristall" in Sankt Georgen/Gusen ein. Häftlinge des Lagers Gusen I betreuten unter strenger Bewachung das Bauteilelager für die Produktion des Düsenjägers Messerschmitt Me 262. Die Teile wurden per Bahn angeliefert und nach Zwischenlagerung wieder retour zur Montage nach Sankt Georgen gebracht. Bald standen bei "Bergkristall" genügend Lagerflächen zur Verfügung, das Lager im ehemaligen Ziegelwerk verlor an Bedeutung. Gleichzeitig begann im Mai 1944 die Errichtung des KZ  "Gusen III". Hauptaufgabe der 270 KZ-Häftlinge des Lagers war der Aufbau einer Großbäckerei zur Versorgung der circa 25.000 Inhaftierten und der Wachmannschaften der KZ Gusen I und Gusen II. Knapp vor Kriegsende ging ein Teil der Großbäckerei mit drei Backöfen in Betrieb. Am 5. Mai 1945 wurde das KZ Lungitz als erstes Lager des Bereiches Mauthausen-Gusen von der 11. Panzerdivision der 3. US-Armee unter dem Kommando von Sergeant Albert J. Kosiek befreit. Dieser traf wenig später im Gusental auf den Schweizer Rotkreuzdelegierten Louis Häfliger, durch dessen geheime Informationen in Folge  der von der SS geplante Massenmord an Gusener Häftlingen durch Sprengung von "Bergkristall" verhindert werden konnte (nähere Informationen hier).
Die Bäckerei wurde zuerst von den Amerikanern und ab August 1945 von den Sowjets noch kurze Zeit weiterbetrieben. Nach Demontage der Anlagen wurden die Gebäude abgerissen und das Gelände 1957 eingeebnet. Am Gelände des später ebenfalls abgerissenen Ziegelwerks entstand der heutige Motorikpark.

Archäologische Aufarbeitung von Skelett- und Aschefunden

Im September 2018 stießen die ÖBB bei Bauarbeiten unter den Geleisen des Bahnhofs Lungitz auf Skelette und Asche mit menschlichen Überresten. Die Skelette stammen aus dem frühen Mittelalter, die Asche aber aus dem 20. Jahrhundert. Claudia Theune, Institutsleiterin für Archäologie an der Universität Wien, formuliert die bisherigen Erkenntnisse sehr vorsichtig: Es stehe fest, dass die Ascheschicht aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stamme und es sei "sehr viel mehr als nur Asche" entdeckt worden, unter anderem Erde, Schlacke, Eisen, Porzellan, Aluminium, aber auch Zahnpastatuben, Flaschen und Schuhsohlen sowie ein Knochen und ein Zahn als Nachweise für menschliche Überreste. DNA konnte keine extrahiert werden. Möglich wäre, dass die Asche während der NS-Zeit als Unterbau für Straßen und Bahngleise verwendet wurde. Die Verbindung zum Nationalsozialismus liegt auch deshalb nahe, weil eine ganz ähnliche Aschenzusammensetzung bei Bohrungen im ehemaligen KZ Mauthausen gefunden wurde.

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